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Keim bleibt geheim

 

Von Haluka Maier-Borst

Resistente Keime wie MRSA und VRE sind in deutschen Kliniken ein großes Problem. Bis zu 15.000 Menschen sterben schätzungsweise jedes Jahr an einer Infektion mit einem solchen Erreger. Das sind viereinhalb Mal so viele, wie bei Verkehrsunfällen umkommen.

Wer allerdings genauer wissen will, wie groß das Problem ist und wie es sich entwickelt, muss feststellen, dass es erstaunlich schwierig ist, an Zahlen zu gelangen. Für uns waren zu Beginn der Recherche vor allem diese drei Fragen unbeantwortet:

  1. Ist ganz Deutschland gleichermaßen von dem Problem betroffen?
  2. Gibt es bestimmte Regionen, bestimmte Krankenhäuser, in denen solche Infektionen häufiger auftreten?
  3. Gibt es Schwerpunkte, bei denen es wichtig wäre, die Ursachen genauer anzuschauen?

Der erste Schritt, diese Fragen zu beantworten, war noch einfach. Seit Mitte 2009 muss jedes Labor melden, wenn es einen MRSA-Keim im Blut oder in der Wirbelsäulenflüssigkeit eines Patienten findet. Die Statistik darüber führt das Robert-Koch-Institut (RKI), die wichtigste Institution in Deutschland, wenn es um Seuchen und Infektionsbekämpfung geht.

Das RKI lieferte entsprechende Daten auf Anfrage problemlos – solange wir nicht zu detailliert wissen wollten, wie viele Menschen sich wo infiziert hatten. Wir bekamen Daten, die zeigen, wie viele MRSA-Fälle pro 10.000 Einwohner in allen Landkreisen und Städten gemeldet werden.

Daran ist zu erkennen, dass sich vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen MRSA-Infektionen häufen. Betrachtet man zusätzlich, welche Kreise und Städte die meisten Infektionen im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl gemeldet haben, kommt man auf diese zehn: Holzminden, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Goslar, Nienburg (Weser), Northeim, Peine, Mönchengladbach, Hameln-Pyrmont, Höxter, Duisburg.

Diese zehn Städte und Kreise verzeichneten nicht nur in einem Jahr die meisten Fälle. Sie tauchen vielmehr in nahezu jedem Jahr an der Spitze der Liste der Infektionsherde auf. Es geht also nicht um einzelne Ausbrüche.

Die nächste Frage, welche Krankenhäuser in den jeweiligen Kreisen und Städten konkret betroffen sind, war nicht mehr so einfach zu beantworten. Doch nur so lässt sich beurteilen, ob hinter hohen Zahlen beispielsweise eine auf multiresistente Keime spezialisierte Klinik steckt, die naturgemäß hohe Fallzahlen hat. Oder ob es die besonders großen Krankenhäuser mit sehr vielen Patienten sind. Oder ob die Zahlen auf ein Problem hinweisen, schlechtere hygienische Zustände beispielsweise. Und natürlich sind entsprechende Informationen für die Bewohner der Regionen interessant.

Gesundheitsämter schwiegen

Das RKI hat solche Daten nicht, sie liegen bei den örtlichen Gesundheitsämtern. Diese registrieren die Fälle und melden sie anschließend anonymisiert an das Institut.

Für Duisburg hatten wir dank der Vorarbeit des Rechercheteams der Funke-Mediengruppe schon eine Aufschlüsselung der Fallzahlen nach den einzelnen Krankenhäusern. Vier weitere Kreisgesundheitsämter beantworteten unsere Frage. Die fünf übrigen taten das nicht.

Sie führten dafür unterschiedliche Gründe an. Personalmangel zum Beispiel, verbunden mit dem Vorwurf, wir behinderten die Arbeit der Behörde: “Im zuständigen Fachbereich sind wir personell (…) sehr eng aufgestellt. Es würde bedeuten, dass eine Kraft sich ihren Beratungs- und Kontrollaufgaben nicht widmen könnte, weil die Daten für Sie herausgesucht werden müssen.“ Auch Datenschutz wurde genannt, ohne Verweis auf ein entsprechendes Gesetz: “Informationen, wie von Ihnen gewünscht, unterliegen dem Datenschutz. Daher ist eine Auskunft dazu leider nicht möglich.“

Uns wurde auch vorgeworfen, Kliniken wirtschaftlich zu schaden: “So kann unter dem Gesichtspunkt von § 823 BGB, § 1004 BGB (eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb) z.B. eine negative betriebsbezogene Berichterstattung im Sinne einer unerlaubten Handlung zu missbilligen sein und einen entsprechenden Unterlassungsanspruch auslösen, wenn dies zu entsprechenden Vermögensnachteilen führt oder solche zu befürchten (sind).”

Ein Gesundheitsamt nahm es als gegeben hin, dass sich einige Krankenhäuser nicht an die gesetzlich vorgeschriebene Meldepflicht halten und daher die Ehrlichen die Dummen wären: “Tatsächlich spricht aber gegen eine Einzelmeldung, dass nicht alle Krankenhäuser ihre MRSA-Fälle melden, das heißt, würden wir die meldenden Krankenhäuser benennen, würden diejenigen bestraft, die sich an die Meldepflicht halten. Jene, die der Meldepflicht nicht nachkommen, würden in einem guten Licht da stehen.“ Dabei ist es Aufgabe der Gesundheitsämter, die Einhaltung des Infektionsschutzgesetzes zu gewährleisten.

Nur eins der Gesundheitsämter brachte ein berechtiges, sachliches Argument vor: “Es sei erwähnt, dass (…) belegbar ist, dass weit überwiegend bei den gemeldeten Fällen schon bei Aufnahme ein positiver MRSA (…) Befund vorgelegen hat! (…) Eine krankenhausinterne Verursachung ist damit nicht ersichtlich (…).“

Woher die Keime kamen? Keine Daten

An diesem Argument zeigt sich die größte Schwäche der offiziellen RKI-Statistik: Sie gibt keine Auskunft darüber, ob sich Patienten einen Keim im Krankenhaus einfingen oder ob sie ihn mitbrachten und er im Krankenhaus ausbrach. Was erstaunlich ist, denn die sogenannten Krankenhauskeime sind ein Schwerpunkt der Bemühungen um mehr Hygiene im Gesundheitswesen. Die konkreten Infektionswege zu kennen sollte selbstverständlich sein.

In Großbritannien müssen Kliniken seit Jahren offenlegen, wie viele MRSA-Fälle sie im vergangenen Jahr hatten. Die Zahl der MRSA-Infektionen ist innerhalb von zehn Jahren von 7.700 auf 862 pro Jahr gesunken – wohl auch eine Folge dieser Transparenz. Auch in Frankreich kann jeder sehen, wie gut die Hygiene in seinem Krankenhaus ist.

Nach langem Hin und Her haben wir für neun der zehn angefragten Kreise eine Auflistung bekommen, die zeigt, wie sich die MRSA-Fälle auf die einzelnen Krankenhäuser verteilen. Die Stadt Mönchengladbach und der Landkreis Goslar wollten uns keine Detailzahlen nennen. Mönchengladbach hat sich das im letzten Moment anders überlegt und kurz vor Veröffentlichung dieses Blogeintrags die Zahlen geschickt. Gegen Goslar haben wir Klage eingereicht und hoffen, die entsprechenden Zahlen nachreichen zu können.