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Wollen Sie den Lauf der Welt beeinflussen? Bewerben Sie sich hier!

Ab und zu schaue ich auf die Webseiten der einschlägigen Geheimdienste dieser Welt, um zu schauen, in welchem Bereich diese gerade neues Personal suchen; das ist mitunter ganz aufschlussreich. Der britische Mi5 etwa, ein Inlandsgeheimdienst irgendwo zwischen dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem US-Ministerium für Heimatschutz, sucht derzeit Russisch-Experten, die Telefonate abhören und Dokumente übersetzen sollen („abgefangen mit Genehmigung“, steht extra dabei). Der Job ist frisch ausgeschrieben; ziemlich naheliegend daher, dass er mit der Ukraine-Krise in Verbindung steht.

Interessant ist auch, wie enthusiastisch britische und US-amerikanische Geheimdienste ihre Jobs anpreisen – vor allem im Gegensatz zu den extrem nüchternen deutschen Diensten.

Die CIA etwa, der US-Auslandsgeheimdienst, verspricht Bewerbern für den clandestine service, also den verdeckten (Außen-) Einsatz: „This is more than just a job – it’s a way of life…“. Dem Terrorismus und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen auf der Spur, müsse man als Kandidat Eigenschaften mitbringen wie „physische und psychische Gesundheit, Energie, Intuition, street sense, und die Fähigkeit, mit Stress klarzukommen“. Außerdem sollte man mit „sich schnell entwickelnden, uneindeutigen und unstrukturierten Situationen“ fertig werden können.

Die US-Lauschbehörde NSA wirbt ebenfalls recht glamourös: „Fordere das Unbekannte heraus! Löse das Unmögliche! Und bei der NSA geht es auch noch darum, die Nation zu beschützen. Eine Karriere bei der NSA bietet dir die Gelegenheit, mit dem Besten zusammenzuarbeiten, den Lauf der Welt zu beeinflussen, und deine eigene Zukunft zu sichern. Ist es nicht an der Zeit, deine Intelligenz arbeiten zu lassen?“

Der britische Mi5 kleidet die Ausschreibung des Russisch-Jobs in regelrechte Spionage-Prosa: „Je tiefer Sie in eine Sprache eintauchen, desto mehr entdecken Sie. Eine Konversation beginnt mit Sport, dreht sich um die Ökonomie, landet bei der Politik. Und Sie sind nicht nur dabei, um zu übersetzen; und auch nicht, um zu interpretieren; Sie sind dabei, um eine Verständnistiefe beizusteuern, die uns in die Lage versetzt, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten… In dieser Rolle werden Sie gefordert werden wie in keiner anderen; sie werden nicht nur ihr Russisch verfeinern, sondern noch andere Fähigkeiten erlernen, innerhalb eines unterstützenden Umfeldes, das zugleich freundlich und locker ist.“

Der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND sucht derweil „Freiberufliche Mitarbeiter/innen mit hervorragenden Sprachfertigkeiten für die Sprachen des Maghreb, der Levante, der Sahelzone und Somali sowie für die Sprachen und Dialekte aus dem kaukasischen Raum auf Honorarbasis.“ Die Jobbeschreibung:
Aufgabenschwerpunkte – Übersetzen und Verschriften von fremdsprachlichen Sachverhalten in die deutsche Sprache.“ Dazu noch eine Ermahnung: „Bitte behandeln Sie die Bewerbung diskret.“ Das war’s auch schon.

Das BfV sucht aktuell „IT-affine Sachbearbeiter/innen“; die Ausschreibung klingt so: „Als Sachbearbeiter/in im Bereich „Zentrale Fachunterstützung“ erbringen Sie vielfältige Dienstleistungen für alle Fachaufgaben und -bereiche. Das Aufgabenspektrum erstreckt sich auf die Bearbeitung und Auswertung gesammelter Informationen, die Dokumentation von Arbeitsergebnissen sowie die Fertigung von Stellungnahmen und Berichten. Das Arbeitsumfeld ist geprägt durch abwechslungsreiche Tätigkeiten in leistungsstarken und motivierten Teams. Ständig neue Herausforderungen werden durch eine offene Kommunikationskultur, in Eigenverantwortung und Teamarbeit bewältigt.“

Da sieht man die Resopal-Schreibtische gewissermaßen vor sich. War das jetzt gemein? Ich meine nicht. Lieber solche Nachrichtendienste als CIA und NSA. (Und noch lieber welche, die von engagierteren Parlamentariern noch besser kontrolliert werden.)

 

It’s Terrorism, Stupid!

„Heil Hitler“, rief der Mann nach seiner Tat. Drei Menschen hatte er da soeben erschossen: Einen 14 Jahre alten Jungen und seinen Großvater, sowie eine bislang nicht identifizierte Frau. Der Tatort war ein jüdisches Gemeindezentrum in einem Vorort der US-Metropole Kansas City. Der Täter, Frazier Glen Miller, ist der Gründer und Anführer der Carolina Knights of the Ku Klux Klan sowie der White Patriot Party.

Es besteht also faktisch kein Zweifel daran, dass die Tat, die sich am Sonntag ereignete, antisemitisch motiviert war und von einem Rechtsextremisten und Rassisten begangen wurde. (Auch wenn, wie die New York Times berichtet, keines der drei Opfer jüdisch war; die Polizei, so das Blatt, gehe aber davon aus, dass Miller Juden töten wollte.) Trotzdem spricht kaum jemand von einem Terroranschlag. CNN, die New York Times und die Washington Post schreiben aktuell zum Beispiel von einem „Shooting“ beziehungsweise einem „Shooting Spree„.

Wieso eigentlich? Wieso ist dieser offensichtliche Anschlag (nichts deutet etwa darauf hin, dass der Attentäter die Opfer kannte) kein Terror-Anschlag? Es gibt viele Terrorismusdefinitionen, aber die meisten kombinieren zwei Elemente: Die Opfer sind Zivilisten, und die Motivation ist ideologisch und/oder politisch. Trifft das in diesem Fall nicht zu?

Morgen jährt sich zum ersten Mal der Anschlag auf den Marathonlauf in Boston, ausgeführt von zwei Brüdern tschetschenischer Herkunft und muslimischen Glaubens. In dem Fall war von Anfang an von einem Terroranschlag die Rede gewesen. Als Mohamed Merah im März 2012 in Südfrankreich insgesamt sieben Menschen ermordete, darunter neben Soldaten ebenfalls Mitglieder einer jüdischen Gemeinde, war sofort von Terrorismus die Rede gewesen.

Klar, die beiden Brüder hatten Bomben gezündet, was sonst sollte das sein als Terrorismus? Und Merah behauptete, er sei Mitglied von Al-Kaida (was sich nie erhärten ließ). Aber ich sehe trotzdem nicht, was die Tat von Kansas City anderes als Terrorismus sein sollte.

Dabei geht mir hier nicht um die juristische Einordnung, sondern um journalistische Reflexe. Denn hinter dieser Nicht-Einordnung als Terrorismus steckt ein verdecktes Muster. Während jeder islamistische Einzeltäter durch die Beschreibung als Terrorist unterschwellig in eine Art internationale Szene einsortiert wird, bleibt jemand wie Frazier Glen Miller so nämlich ein Einzeltäter, und sein Anschlag ein scheinbarer Einzelfall. Die Bostoner Bombenbauer aber waren, wenn überhaupt, nur sehr, sehr lose mit anderen Extremisten vernetzt; ihre Tat planten sie isoliert von Dritten. Natürlich stehen ihre Bomben in einem Zusammenhang mit anderen Anschlägen, die Dschihadisten anderswo ausgeübt haben – nur eben nicht in einem faktischen, sondern einem phänomenologischen.

Aber das ist doch bei dem Anschlag von Kansas City genauso, oder? Er ist mit den NSU-Morden in Deutschland nicht weniger verbunden als das Bostoner Attentat mit dem dschihadistischen Anschlag auf das US-Konsulat in Bengasi. Wenn Attentäter, die „Allahu Akbar“ schreien, während sie Menschen töten, in einen Zusammenhang gebracht werden, dann bitte auch Mörder, die „Heil Hitler“ rufen, wenn sie Juden ermorden.

Ich unterstelle niemandem böse Absicht. Ich fürchte nur, dass auch viele Journalisten nicht unbeeindruckt geblieben sind von der Tatsache, dass man seit 9/11 glauben könnte, Terrorismus sei ein exklusiv islamistisches Phänomen. Tatsächlich gibt es weltweit mehr Terroranschläge, die nicht islamistisch motiviert sind. Wenn man sie denn zählt. Und entsprechend einsortiert.


PS: In the interest of full disclosure: Dieser Blog Post ist inspiriert durch einen Tweet des norwegischen Terrorexperten Thomas Hegghammer, den ich persönlich kenne. Hier der Tweet: „@Hegghammer Convicted white supremacist massacres Jews, shouts Heil Hitler, but is still not a „terrorist“ to CNN and KS police: cnn.it/RhMmZf“

Update 17:17: Ich bin nicht allein: http://www.psychologytoday.com/blog/dangerous-minds/201404/why-isn-t-anyone-calling-terrorism

Update 21:05: In einer ersten Fassung dieses Textes hatte ich geschrieben, alle drei Opfer Müllers seien Juden. Das ist offenbar nicht richtig. Mittlerweile berichtet die New York Times, keines der drei Opfer sei jüdisch gewesen, die Polizei gehe aber davon aus, Miller habe Juden töten wollen. Ich bitte das zu entschuldigen – zu Beginn der Berichterstattung war die Nachrichtenlage noch weniger eindeutig. Aber für das Argument dieses Blog Posts ist es auch nicht entscheidend, ob die Opfer jüdisch waren oder ob Miller dachte, sie seien es.

 

Berliner Ex-Rapper in Syrien leistet Terrorgruppe den Treue-Eid

Er ist nicht der erste deutsche Dschihadist, der sich in Syrien der Terrorgruppe Islamischer Staat in Irak und Großsyrien (ISIS) angeschlossen hat – aber der bekannteste, und deshalb wichtigste: Dennis Cuspert, früher einmal als Rapper Deso Dogg (ein bisschen) berühmt, seit seiner dschihadistischen Selbstfindung als Abu Talha al-Almani fungierend.

Am Freitagabend veröffentlichte er ein sechs Minuten langes Video im Internet, in dem er dem ISIS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi, einem Iraker, die Baia’a, den offiziellen Treueid schwört. „Ich gebe meine Bai’a an den Amir Al-Muminin (Anführer der Gläubigen, YM), um ein Zeichen zu setzen, dass wir auf dem geraden Weg sind. Ich denke, es ist für mich eine Bereicherung.“

Cuspert hält sich seit Monaten in Syrien auf, im vergangenen Jahr wurde er dort schwer verwundet, ist seitdem aber offenbar wieder genesen. Von Beginn an publizierte er Bilder, Statements und kurze Videos aus dem Bürgerkriegsland, die an seiner dschihadistischen Gesinnung keinen Zweifel ließen; trotzdem war lange unklar, welcher Organisation er sich angehörig fühlt. Diese Frage ist jetzt geklärt – Abu Talha hat sich, wie zu erwarten, für die denkbar brutalste Variante entschieden, für die Schächtet, Terroristen und Kriegsverbrecher des aus der Al-Kaida-Filiale im Irak hervorgegangenen ISIS.

Das ist aus mehreren Gründen relevant. Zum einen, weil ISIS ideologisch und in der Praxis die extremste Gruppe in Syrien ist. Wo sie Einfluss haben, richten ihre Kämpfer Menschen für lächerlichste Vergehen hin, hacken angeblichen Dieben die Hände ab und zwingen Frauen unter die Vollverschleierung. Auch ihre Ziele liegen weit jenseits einer besseren oder auch nur alternativen Zukunft für die Bürger Syriens. Abu Talha selbst macht das in dem Video klar, wenn er sagt, dass er und seine Genossen den Kampf „so Gott es will“ nach Al-Kuds, also nach Jerusalem tragen werden. ISIS ist internationalistisch ausgerichtet, Syrien ist für die Kämpfer nur eine Etappe.

Zugleich ist ISIS freilich aus dem Al-Kaida-Universum ausgeschert, es gab Anfang dieses Jahres ein nicht wieder zu kittendes Zerwürfnis zwischen der ISIS-Führung, die sich selbst zu Beginn noch als Teil des Al-Kaida-Netzwerks verstand, und Aiman Al-Sawahiri, dem Al-Kaida-Chef. Seitdem kracht es immer wieder zwischen ISIS-Kämpfern und Verbänden anderer islamistischer und/oder dschihadistischer Gruppen in Syrien – zum Beispiel der Dschabhat al-Nusra, einer zweiten Gruppe, die aus dem Al-Kaida-Nexus hervorging und deutlich stärker auf Syrien konzentriert ist als ISIS und (etwas) moderater auftritt.

Abu Talha behauptet derweil, für ihn sei mit dem Treue-Eid ein „Traum wahr geworden“, er werde kämpfen, bis dereinst eine Rakete oder Kugel ihn töten werde.

Es ist davon auszugehen, dass er nicht der einzige aus Deutschland eingereiste Dschihadist ist, der beim ISIS gelandet ist. Der Verfassungsschutz geht mittlerweile von über 320 Syrien-Reisenden aus Deutschland aus; wie viele von ihnen tatsächlich an Kampfhandlungen teilnehmen, ist ungewiss, aber einige dürften es schon sein. Zuletzt verdichteten sich die Hinweise, dass die Kämpfer aus Deutschland in mehreren Gruppen organisiert sind; auch Abu Talha wird also wohl kaum ganz alleine sein.

In dem Video behauptet er, er befinde sich in Raqqa, einem Ort zwischen Aleppo und Deir ez-Zor, der als ein wichtiges ISIS-Zentrum gilt. Überprüfen lässt sich das nicht ohne Weiteres – genau so wie in dem Video auch unklar bleibt, ob ein ISIS-Repräsentant den Treue-Eid offiziell akzeptiert. Normalerweise geht das entsprechende Ritual mit einer Berührung der Hände zwischen Eid-Geber und -Empfänger einher. Abu Talha legt seine Hand in die Hand eines zweiten Mannes, dieser wird aber nicht gezeigt. Authentisch ist das Video wohl trotzdem – zumindest in dem Sinne, dass es wirklich Dennis Cuspert zeigt und seine Ansichten widerspiegelt.

Ob der Treue-Eid Auswirkungen haben wird, die über die Bürgerkriegssituation in Syrien hinausweisen, wird sich zeigen; Sicherheitsbehörden sind besorgt, dass heimkehrende Kämpfer aus Deutschland hierzulande Anschläge verüben könnten. Bislang hat ISIS nicht zu Anschlägen in Europa aufgerufen. Das könnte sich natürlich ändern; und Cusperts Eid würde ihn dann zu unbedingtem Gehorsam verpflichten.

PS: Ich beschreibe hier einen Sechs-Minuten-Auszug aus einem anscheinend insgesamt längeren Video.