Viele Journalisten kriegen Hassbriefe.
Journalisten, deren Namen auf einen nahöstlichen Migrationshintergrund deuten, bekommen allerdings besondere Hassbriefe.
Das sage ich nicht nur so, sondern aus Erfahrung. In solchen Zuschriften wird man oft gar nicht für das beschimpft, was man geschrieben hat – sondern für das, was man vermeintlich ist: Ein Muslim, ein Ausländer, ein Nicht-Deutscher, einer (oder eine) jedenfalls, der (oder die) sich hier gefälligst nicht einmischen soll.
Mohammed Amjahid, Özlem Gezer, Hasnain Kazim, Mely Kiyak, Özlem Topcu und Deniz Yücel sind solche Journalisten, sie arbeiten für die ZEIT, den Spiegel, Spiegel Online, die taz, den Tagesspiegel und andere Blätter. Seit drei Jahren treten wir gemeinsam auf und lesen aus unseren Hassmails und Hassbriefen vor. „Hate Poetry“ nennen wir das. Es ist eine Show, in der wir in vier Kategorien mit Hilfe des Publikums ermitteln, welche Zuschrift die mieseste, niederträchtigste, rassistischste ist. Die Kollegin Ebru Tasdemir hat das Konzept erfunden, und Doris Akrap von der taz ist unsere Moderatorin. (In diesem TV-Beitrag können Sie sich ein Bild davon machen, wie das aussieht; hier gibt es einen Radiobeitrag für einen akustischen Eindruck.)
Das „Medium“-Magazin hat uns für die „Hate Poetry“-Show mit dem „Sonderpreis Journalisten des Jahres 2014“ ausgezeichnet. Am Montagabend fand in Berlin die Preisverleihung statt. Die Publizistin Carolin Emcke hielt die Laudatio.
Wir freuen uns sehr über den Preis. Aber vielleicht noch mehr hat uns die Lobrede von Carolin Emcke berührt. Wir möchten sie deshalb hier mit Ihnen teilen. Vielleicht gefällt sie Ihnen ja auch so gut wie uns!
Laudatio Hate Poetry
Selten habe ich mich so gefreut über eine Auszeichnung für andere wie heute.
Es ist diese diebische Freude, die man empfindet bei einem besonders guten Streich, wenn etwas gegen alle Erwartungen gelungen ist, wenn alle althergebrachten Konventionen, alle naheliegenden Reflexe, alle Schwerkraft der Macht einfach durchkreuzt und überschritten wurden: YES!
Hate Poetry, das ist eine so intelligente wie kreative Form des Widerstands gegen Ressentiment und Rassismus, des humorvollen Aufbegehrens gegen nicht nachlassenden Hass und Verachtung – und es ist vor allem auch eine Befreiung, die an die alte Tradition des Re-Signifizierens anknüpft, die schon so viel Bürgerrechtsbewegungen ausgezeichnet hat.
Was daran so bemerkenswert ist, sind für mich drei Momente der Dissidenz:
- Das Austreten aus der Einsamkeit: Jeder und jede von Euch, der diese Hass-Mail erhielt, war damit zunächst einmal allein. Die Briefe sind adressiert, sie richten sich an Euch, jeden Einzelnen individuell und zugleich an Euch als Angehörige einer wie auch immer falsch verstandenen Minderheit, sie wollen beleidigen und verletzten, beschmutzen und versehren. Und, zunächst einmal, tun sie das auch. Niemand kann sich im ersten Moment der Wirkung von diesem Hass entziehen. Sie isolieren jeden Empfänger und jede Empfängerin, die in Redaktionen nicht nur schrecklich seltene Ausnahmen sind, sondern die auch noch Titelgeschichten wie „Mekka Deutschland“ und Pegida-verstehende Leitartikel aushalten müssen.
Diese Isolation abzulehnen, sich miteinander zu verständigen, sich in immer wechselnden Kombinationen zu vereinen und dem Hass GEMEINSAM zu begegnen – das ist eine wunderbare Form der dissidenten Solidarität, die allein schon auszeichnungswürdig wäre.
- Das Öffentlichmachen: Die Angriffe nicht zu schlucken. Die Beleidigungen nicht zu verdrängen, sie nicht wegzulegen als irre, widerliche, ekelhafte Rassismen, sondern sie öffentlich zu machen, die Kränkung wieder und wieder vorzulesen, solange bis sie sich gegen sich selbst und ihren Autoren wendet – das verlangt nicht nur Mut, sondern auch Kraft (eine, die ich, wenn ich ehrlich bin, nicht hätte). Es liegt darin übrigens auch ungehörige Großzügigkeit, nämlich der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich ebenfalls damit auseinanderzusetzen.
- Aus diesem Hass, aus diesem Dreck keine Anklage, sondern ein Fest zu machen, eine Party, eine Performance, in der aller Witz, alle spielerische Aneignung und Verfremdung der angeblich so stabilen Identität eines Muslims, einer Türkin, eines Gastarbeiter-Kindes gefeiert wird – das ist wirklich ein Happening, ein Acting Out, eine politische Farce erster Güte.
„Anger is a bitter lock“, hat die Dichterin Anne Carson mal geschrieben: „But you can turn it.“ Das führt Ihr uns vor und darin seid Ihr Vorbild.
Es wird viel gelacht beim Hate Poetry – auch wenn mir selbst nie zum Lachen zumute war. Zu finster verbinden sich in diesen Leserbriefen alte und neue Ressentiments, Klassendünkel und Sexismus verknüpfen sich gespenstisch mit Islamophobie. Vielleicht könnten irgendwann auch andere Formen der Ablehnung gemeinsam geslamt werden, damit auch die nächste Isolation überwunden wird.
Aber bis dahin verneige ich mich vor Eurem Mut, Eurer Heiterkeit, Eurer unendlichen Begabung zur Vernunft und einem aufklärerischen Format, das hoffentlich ansteckend wirkt.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung!