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Telefonat mit einem Schlepper

 

Ein Tweet hat mich drauf gebracht, und ich dachte erst: Das kann nicht sein. „Eine Facebook-Seite der Kategorie „Freizeit/Reise“ über die man seine Flucht nach Europa buchen kann“, lautete er. Der Link führte zu einer arabischsprachigen Facebook-Seite, auf der, unter dem großformatigen Bild eines Flüchtlingsschiffes, Werbung für ein Unternehmen der besonderen Art gemacht wird – nämlich eines, das „die Reise von Libyen nach Italien“ anbietet – ein Schleppernetzwerk.

In den einzelnen Postings werden die Termine der nächsten Abfahrten und die Preise aufgelistet. Auch Fragen werden beantwortet. „Ist das letzte Schiff angekommen?“, will einer wissen. „Gepriesen sei Gott, ja“, lautet die Antwort. „Gibt es Schwimmwesten?“ – „Sicher!“

Screenshot der Facebook-Seite der Schlepper
Screenshot der Facebook-Seite der Schlepper

Ist die Facebook-Seite echt? Oder ist sie ein Fake, vielleicht eingerichtet von jemandem, der auf die Tragödie auf dem Mittelmeer aufmerksam machen möchte?

Absolut sicher kann ich immer noch nicht sein. Aber ich denke, sie ist kein Fake. Ich habe nämlich unter einer der dort angegebenen Nummern (libysche Vorwahl) angerufen und folgendes Gespräch mit dem Mann am anderen Ende geführt:

YM: Guten Tag, Du bietest die Überfahrt nach Italien an? Ich habe deine Nummer von Facebook. Wann geht dein nächstes Schiff?

Mann: Morgen, so Gott will.

YM: Morgens?

Mann: Ja, am Morgen. Wo bist du? In Libyen?

YM: Ja. Ich glaube, ich bin ganz in deiner Nähe. Du fährst von Zuwara?

Mann: Ja.

YM: Ich habe meine Familie bei mir. Drei Kinder. Und meine Frau. Was kostet das?

Mann: Wie alt sind die Kinder?

YM: Ein Jahr, sieben Jahre und zehn Jahre.

Mann: Die Kleinen sind umsonst.

YM: Und ich und meine Frau?

Mann: Jeder tausend Dollar.

YM: Willst du das ganze Geld vorher?

Mann: Ja.

YM: Wann genau?

Mann: Auf dem Schiff reicht.

YM: Wie viele werden auf dem Schiff sein?

Mann: 180.

YM: Reicht denn der Platz für uns alle?

Mann: Klar.

YM: Ich habe gehört, manche Schiffe kommen nicht an.

Mann: Ich mache das nicht erst seit Kurzem!

YM: Wie lange dauert es denn bis Italien?

Mann: Acht Stunden.

YM: Okay, ich melde mich wieder bei dir.

Mann: Gut. Wenn ich nicht rangehe, bin ich vermutlich gerade in der Moschee.

Bei den Preisen, die der Mann verlangt, nimmt er mit nur einer Überfahrt vermutlich über 100.000 Dollar ein. Und es ist ziemlich sicher, dass sich anschließend niemand beschweren und sein Geld zurückverlangen wird – entweder kommen die Reisenden an; oder sie ertrinken.

So banal, in aller Öffentlichkeit, agieren diese Kriminellen.

(PS: Den Tweet habe ich bei @weltregierung gefunden)