Vor Kurzem wurde der neunzehnjährige Amateur Dhruv Kakkar in Neu Delhi ertappt. Beim Dr. Hedgewar Open Chess-Turnier ließ er sich über Handys und einen Knopf im Ohr von seinem Freund Züge ansagen. Nach einer Beschwerde seines Gegners in der fünften Runde fand der Schiedsrichter schließlich einiges Equipment am Körper des Jungen: Zwei Handys, die er sich mit Tesastreifen an die Beine geklebt hatte, ein Gürtel voller Batterien und einen kleinen Lautsprecher im Ohr.
Auf diese Weise kommunizierte er mit einem Freund, der, mehr als 200 Kilometer entfernt, vor einem Schachprogramm saß. Der Freund sagte mögliche Züge an, Kakkar bestätigte den jeweils getätigten Zug mit einem Fußstampfen. Daraufhin gab der Freund den perfekten Gegenzug durch. Dem Ersttäter droht eine mehrjährige Spielsperre.
Ähnlich könnte es dem zweifachen georgischen Landesmeister Gaioz Nigalidze ergehen. Dem Großmeister konnte vor ein paar Wochen während des Dubai Open ebenfalls nachgewiesen werden, dass er während der Runde die Hilfe eines Schachprogramms in Anspruch genommen hatte. Im Gegensatz zu Kakkar war Nigalidze weniger einfallsreich und platzierte sein Smartphone lediglich in der Toilettenkabine. Seine vielen Klobesuche fielen dann irgendwann auf.
Besonders brisant ist der Fall Nigalidze deshalb, weil er bereits im Dezember ein hochdotiertes Turnier in Al Ain trotz Außenseiterrolle gewinnen konnte. Auch seine Siege bei der georgischen Meisterschaft in den Jahren 2013 und 2014 werden wohl nun genauer untersucht.
Schachbetrug gibt es also überall, in jeder Spielstärke, die Liste der überführten Spieler reicht vom absoluten Amateurspieler bis zum Großmeister. Auch in Deutschland hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle gegeben, bei denen sich Spieler mithilfe ihres Smartphones Züge ansagen lassen haben. Schnell hieß es, Betrug im Schach müsse hart bestraft werden, notfalls mit lebenslanger Sperre. Argumentiert wird mit der allseits beliebten These, dass künftige Betrüger bereits im Vorfeld abgeschreckt werden müssen. Dabei wird häufig außer Acht gelassen, dass der mediale Pranger ohnehin die härteste Sanktionierung für den Beteiligten darstellt.
Fest steht: Nicht jeder Betrug wird entdeckt. Fast alle bisher aufgedeckten Fälle haben gemein, dass besonders unvorsichtig betrogen wurde. Viele Betrüger wurden schon verdächtigt, haben weiter betrogen und wurden schließlich überführt. Andere fielen auf, weil sie sich sklavisch an die vom Computer vorgeschlagenen Züge gehalten hatten. Züge, auf die ein Mensch kaum gekommen wäre. Höhepunkt der menschlichen Selbstüberschätzung ist ein Fall aus dem Jahr 1998, bei dem ein Amateur seinem Gegner während der Partie ein Matt in acht Zügen ankündigte und daraufhin überführt wurde. So ungeschickt sind nicht viele, deswegen kann man davon ausgehen, dass die Dunkelziffer rund um Schachbetrug um einiges höher liegt.
Das Ansehen des Schachs wird mit jedem weiteren Betrugsfall kleiner. Schach gilt als ehrlicher Sport, als Spiel der Könige. Das Ergebnis einer Partie ist in der Regel unabhängig von äußeren Einflüssen oder Zufallsmomenten. Entsprechend empfindlich reagiert die Schachwelt auf unlautere Mittel, bei der sich der Spieler nicht der menschlichen Kreativität, sondern der Rechenkraft von Computern bedient.
Dies führt allerdings immer häufiger zu voreiligen Verdächtigungen und Anschuldigungen. Ob anonym in Onlineportalen oder im Gespräch mit dem Vereinskollegen: Das Misstrauen innerhalb der Schachgemeinde wächst langsam aber stetig. Beschuldigt werden niederste Amateurspieler und ehemalige Weltmeister. Voreilige Verdächtigungen und übertriebene Sicherheitsvorkehrungen inklusive.
Parallel zum Misstrauen innerhalb der Gemeinschaft wächst der Druck auf die jeweiligen Verbände. Sie sollten tätig werden, müssten ihre Regeln anpassen. Momentan fehlt es oft an rechtlicher Handhabe, Regeln auch durchzusetzen, wenn sich ein Spieler verdächtig macht. Die Schachbundesliga als eigener Verein ergriff als eine der ersten die Initiative und lässt sich von jedem einzelnen Spieler eine verpflichtende Erklärung unterzeichnen, sich im Zweifel durchchecken zu lassen, ob man gerade elektronische Hilfsmittel nutzt oder nicht. Versuche, ähnliche Regelungen auf andere Ligen auszuweiten, stießen auf regen Widerstand. Das Spiel der Schummelkönige, auf jeden Fall eine Herausforderung für die nächsten Jahre.