Der Schachweltmeister Fahim Mohammad wäre schon immer gerne ein ganz normaler Junge gewesen. Während andere jugendliche Talente online Schach spielen, mit dem Computer Eröffnungen studieren und die Eltern Trainer zahlen, hatte Fahim keinen Computer, keinen Internetanschluss, nicht einmal einen festen Wohnsitz und manchmal auch keine Kleidung für den Winter.
Das kürzlich im Heyne-Verlag erschienene Buch Spiel um dein Leben, Fahim! erzählt die wundersame Geschichte dieses Flüchtlingskindes, das 2012 französischer Schachmeister der unter 12-Jährigen wurde. Damals lebten er und sein Vater ohne Papiere illegal in Frankreich. Ein Jahr später wurde Fahim sogar Schülerweltmeister.
Fahim wurde 2000 in Bangladesch geboren, wo sein Vater Nura erst als Feuerwehrmann arbeitete und später eine Autovermietung besaß. Der Vater war leidenschaftlicher Schachspieler und sein Sohn belegte bereits als Siebenjähriger den zweiten Platz bei einem großen Turnier in Kalkutta. Fahim lebte in Bangladesch behütet in einem „großen Haus“ mit seinen Eltern und seinen Geschwistern. „Das Leben war schön“, sagt er in dem Buch.
Das änderte sich 2008. In Bangladesch herrschten politische Unruhen, auf den Straßen kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen und die Regierung verhängte eine Ausgangssperre. „Mehrmals kamen Fremde zu uns“, sagt Fahim. „Sie tauchten einfach auf und wollten meinen Vater sprechen. Sie stellten eine Menge Fragen, die ich nicht verstand. Sie durchsuchten die Wohnung, machten viel Lärm.“
Eines Tages erhielten die Eltern einen anonymen Brief, der Absender drohte, Fahim zu entführen. Der Familienrat beschloss, dass Fahim und sein Vater Bangladesch verlassen sollten, um in Europa Asyl zu beantragen. Als Achtjähriger wurde Fahim von seiner Mutter und seinen Geschwistern getrennt und ging mit seinem Vater nach Frankreich.
Dort lebten sie die nächsten Jahre in Flüchtlingsunterkünften, schäbigen Hotels, bei Freunden und Bekannten, im Schachklub oder einem Zelt. Immer wieder ging der Vater zu Behörden, füllte endlose Formulare aus. Als ihre Asylanträge abgelehnt wurden, blieben Fahim und Nura Mohammad ohne Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich. Da Fahim minderjährig war, konnte er nicht abgeschoben werden, doch seinen Vater hätten die Behörden jederzeit zwingen können, das Land zu verlassen. Das hätte Fahim zu einem „unbegleiteten Flüchtling“ gemacht.
Es kam anders. Viele Bekannte und Freunde unterstützten Fahim und seinen Vater, allen voran Fahims Schachtrainer Xavier Parmentier. Mitglieder aus Fahims Schachverein halfen. Sie ließen ihn bei sich wohnen, spendeten Kleider und Geld und unterstützten den Vater beim Kampf mit den Behörden. Doch Asyl bekamen sie nicht. Fahim wurde lethargisch, seine Leistungen in der Schule ließen nach, er verlor die Lust auf Schach.
Eine geschützte Kindheit sieht anders aus
„Ich hasste mein Leben“, wird Fahim zitiert, „ich fand es schrecklich. Früher war Schach meine Fluchtmöglichkeit gewesen. Auf dem Schlachtfeld war ich der König. Ich herrschte über meine Armee und über die Partie. Aber seit einiger Zeit entglitt mir das Spiel genauso wie mein Leben. Ich war nicht mehr der, der entschied. Ich war weniger als der König, dessen Überleben die Partie bestimmt, weniger als der Turm. Ich war noch nicht einmal ein Läufer oder Springer. Vielleicht war ich nur noch ein einfacher Bauer? Wer hörte schon auf einen einfachen Bauern? Wer achtete überhaupt auf einen einfachen Bauern? Wie könnte es mir nur gelingen, mein Leben in die Hand zu nehmen, es dahin zu steuern, wo ich wollte, und es so zu führen, dass ich nichts zu bereuen hatte?“
Dass es zum hollywoodhaften Happy End kam, hatte mit Königen und Damen zu tun, Türmen und Springern. Fahim bekam wieder Lust aufs Schachspielen und gewann die französische Meisterschaft. Vereinsmitglieder kontaktierten die Medien, Presse und Fernsehen berichteten über Fahims Schicksal und plötzlich ging alles ganz schnell. Nur wenig später verkündete der Premierminister François Fillon vor der Kamera eine „Einzelfallentscheidung“. Und was jahrelang nicht möglich gewesen war, geschah in ein paar Tagen: Fahim und sein Vater bekamen Wohnung, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Doch was wäre eigentlich geschehen, wenn Fahim die Meisterschaft nicht gewonnen hätte? Hätte der Premierminister interveniert? Und wieso hing die Entscheidung für oder gegen Asyl davon ab, ob ein Kind ein Schachturnier gewinnt? Wie viel Verantwortung bürdet man einem Zwölfjährigen damit auf?
Dieser Zwiespalt zwischen der Faszination über eine Heldengeschichte und dem Wunsch, dem jungen Helden bliebe zu viel öffentliche Anteilnahme erspart, prägt das Buch Spiel um dein Leben, Fahim! Die Anthropologin und Schriftstellerin Sophie Le Callenec gibt Fahim darin „mit ihrer Schreibfeder eine Stimme“, sein Schachtrainer Parmentier erzählt, wie er den Jungen beim Schach und im Leben unterstützt hat. Das Buch schildert bewegend, wie es Flüchtlingen in Frankreich und in Europa ergehen kann, welchen Schikanen durch Behörden und Politik sie ausgesetzt sind. Der große Held ist bei Erscheinen des Buches gerade einmal 14 Jahre alt. Fahim ist erfolgreich und berühmt, doch eine geschützte Kindheit sieht anders aus.
Fahim Mohammad, Xavier Parmentier, Sophie Le Callennec: Spiel um dein Leben, Fahim! (Originaltitel: Un roi clandestin). Aus dem Französischen von Andrea Kunstmann. Heyne, 224 Seiten, 8,99 Euro.