In diesen Tagen werden Sie vermutlich über einige Zeitungs-/Internetartikel stolpern, die über eine neue Studie zum G-Punkt, dem Evergreen der Sexualforschung, berichten. Tenor der meisten dieser Artikel: Britische Forscher hätten herausgefunden, dass es den G-Punkt also doch nicht gibt.
Leicht möglich, dass die Artikel von denselben Journalisten geschrieben wurden, die noch vor wenigen Jahren freudig berichtet hatten, die Existenz des G-Punkts sei nun endlich nachgewiesen worden. Denn mit dem G-Punkt ist es, das haben wir mittlerweile gelernt, wie mit der Evolution: Die einen sind überzeugt davon, die anderen streiten seine/ihre Existenz ab. Und die Pharmaindustrie unterstützt Forschungen, die diese Frage endlich einmal klären könnten.
Die nach dem G-Punkt, freilich. Evolution ist denen, glaube ich, ziemlich schnurz.
Nun also: Forscher am Londoner King’s College befragten diesmal 1804 Frauen im Alter zwischen 23 und 83 Jahren mittels eines Fragebogens über ihre sexuellen Erfahrungen, wie oft sie beispielsweise durch Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kämen und wie oft durch Masturbation. Der Clou an dem Sample: Es handelte sich bei den Befragten um Zwillinge, sowohl ein- als auch zweieiige. Auf diese Weise versuchten die Forscher, genetische, also „angeborene“ Veranlagungen feststellen beziehungsweise „nachweisen“ zu können, wie das dann gern schnell genannt wird.
Den Trick mit den Zwillingen haben die Experten schon ein paar Mal angewandt, weshalb die britische Sexualberaterin Dr. Petra Boynton auch vermutet, dass es sich immer um ein und dieselbe Befragung handle, die nur stückchenweise veröffentlicht werde. So hatten die Studienautoren unter anderem bereits herausgefunden, dass es möglicherweise ein Untreue-Gen gäbe und dass Frauen mit hoher emotionaler Intelligenz besseren Sex hätten.
Diesmal also der G-Punkt. Die dazugehörige Frage lautete: „Glauben Sie, dass Sie einen so genannten G-Punkt haben, eine kleine Stelle der Größe einer 20-Pence-Münze an der vorderen Vaginalwand, die empfindlich auf Druck reagiert?“
Allein die Formulierung nimmt das Ergebnis der Studienautoren vorweg. „Glauben“ und „einen so genannten G-Punkt“: eine solche Fragestellung würde kein amerikanischer TV-Anwalt ohne Einspruch durchgehen lassen. (Doch prompt konnte man in den vergangenen Tagen auch hierzulande von einer „ominösen Zone der Frau“ lesen.)
Die Auswertung der Daten zeigte laut den Autoren, dass es sowohl Frauen gebe, die zwar Orgasmen beim Geschlechtsverkehr hätten, aber von keinem G-Punkt berichten könnten, als auch Frauen, die einen G-Punkt hätten, aber „sehr wohl auch durch andere Formen der Stimulation wie Küssen oder Bruststimulation zum Höhepunkt kommen könnten“.
Daraus schlossen die Forscher, der G-Punkt sei eher eine Vorstellung, die keine körperlichen Grundlagen habe. Was sie wiederum in manchen Medien gern mit dem Wort „Hirngespinst“ illustrieren, oder auch mit der Formulierung, der G-Punkt würde nur im Kopf mancher Frauen existieren“.
So einfach ist das.
Ist es so einfach? Wir wissen mittlerweile doch eigentlich auch, dass der G-Punkt kein Knopf ist, der auf Kommando Glückseligkeit liefert. Nicht umsonst gibt es im Netz massenhaft Routenplaner, wo man ihn findet. Und vor allem, wie. Die Autoren geben zwar zu, dass es ganz theoretisch auch möglich sei, dass die Befragten ihren G-Punkt einfach noch nicht gefunden hätten. Was sie aber trotzdem nicht von ihrer Hirngespinst-Schlussfolgerung abhält.
Mit dieser wollen sie übrigens den Druck von den Menschen nehmen, nach etwas zu suchen, das noch nie nachgewiesen worden sei. Entsprechend klingen viele Medienberichte über diese Studie eher nach einem Jubelschrei von Männern, die nun endlich nicht mehr suchen müssen. (Und nein, dieser Satz darf nicht männerfeindlich verstanden werden!)
Nur: Die 56 Prozent ihrer Befragten, die von der Existenz ihrer G-Punkte überzeugt sind, dürfen sich jetzt mit dem Gedanken entspannen, sie seien lediglich einem Hirngespinst zum Opfer gefallen?
Wir schreiben das Jahr 2010, und die Wissenschaft streitet immer noch darüber, ob es eine bestimmte Stelle an (in?) der weiblichen Anatomie tatsächlich gibt. Bemerkenswert. Wir warten dann jetzt einfach mal auf die nächste Studie. „Es gibt ihn“ wäre dann wieder an der Reihe.