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Frühlingsgefühle – Fakt oder Fiktion?

 

Wenn die Temperaturen dann vielleicht doch irgendwann über die Null-Grad-Grenze kriechen, wird es wieder losgehen: Menschen werden sich die Kleider vom Leib reißen, Wildfremde werden sich voneinander magisch angezogen fühlen und in neun Monaten wird es auf den Säuglingsstationen voll.

Oder auch nicht.

Das mag jetzt alles sehr unromantisch klingen, aber das, was wir als Frühlingsgefühle bezeichnen (und genießen), ist laut Experten nichts anderes als Einbildung.

Spring Fever nennt es die Wissenschaft und hatte eigentlich jahrelang eine wunderbare Erklärung dafür, dass im Frühling die Hormone mit uns durchgehen. Die winterliche Dunkelheit würde unsere Körper zu verstärkter Produktion des „Schlaf“-Hormons Melatonin anregen, ergo würde es uns winters zwar sehr wohl in die Betten ziehen, aber eben hauptsächlich zum Schlafen.

Sobald die Tage länger werden und wir mehr Licht ausgesetzt sind, sinkt auch der Melatoninspiegel, lässt uns mehr Energie haben und hebt unsere Laune. Und schließlich wird ja auch in der Tierwelt im Frühling gevögelt, dass die Federn fliegen.

Soweit die Theorie.

Die gelte heute, vor allem in unseren industrialisierten Breiten mit Licht auf Knopfdruck, nicht mehr, sagt der Endokrinologe Martin Reincke. Die Produktion von Melatonin werde auch durch Kunstlicht angeregt, also käme es auch zu keinem AnstiegAbfall des Melatoninspiegels im Frühling.

Auch die Geburtenstatistik widerspricht – im Prinzip – der Frühlingstheorie. In Deutschland kommen die meisten Kinder in den Monaten Juli, August und September zur Welt, sprich, sie werden im Oktober, November und Dezember gezeugt.

Allerdings bräuchte es hier vermutlich eine separate Auswertung für ungewollte Schwangerschaften. Schließlich ist es verständlich, dass Paare, die ein Kind planen, dieses lieber in den warmen Monaten bekommen, in denen man den Winzling nicht im mehrere Schichten Kleidung vergraben muss, bevor man das Haus verlässt.

Übrigens eine gute Taktik, denn laut einem Artikel in dem Fachmagazin Acta Pædiatrica ist die Zahl der Geburtsdefekte wie Spina bifida oder Hasenscharte bei (amerikanischen) Kindern, die in den Monaten April bis Juli gezeugt wurden, statistisch signifikant höher als in den übrigen Monaten. Schuld daran könnten Pestizide im Wasser sein, deren Konzentrationen in diesen Monaten erhöht sei.

Doch zurück zum Sex. Dann gibt es eben keine wissenschaftliche Erklärung für Frühlingsgefühle, na und? Das, was derzeit demnächst um uns herum passiert, ist doch eigentlich logisch genug: Man muss sich nicht mehr in dicke Daunenmäntel hüllen, bevor man das Haus verlässt. Man versucht nicht mehr, möglichst schnell vom geheizten A zum ebenfalls geheizten B zu kommen, sondern genießt die Zeit im Freien. Dementsprechend trifft man auch einfach auf mehr Menschen, was die Flirtgelegenheiten – statistisch signifikant – erhöht.

Und da wir ja doch auch immer noch Tiere sind, regen natürlich von Schals freigelegte Dekolletés und von Pullovern befreite Oberarmmuskeln auch die Fantasie an. Und entsprechend Weiteres.

Ein iranischer Neurologe ist übrigens der Meinung, dass Frühlingssex auch gesundheitliche Vorteile hat. Und zwar für Pollenallergiker.

Sina Zarrintan ist überzeugt, dass ein Orgasmus ebenso gefäßverengend wirke wie die handelsüblichen Sprays gegen verstopfte Nasen. Ein Höhepunkt würde eine Stimulation des Sympathikus nach sich ziehen und eben dadurch auch eine allgemeine Gefäßverengung, die sich in den Nasenschleimhäuten entstopfend auswirke.

Die Vorteile lägen, im wahrsten Sinne des Wortes, auf der Hand: Man käme ohne Medikamente aus, die Nasensprays würden ja außerdem zu Gewöhnungseffekten führen, und der Patient könne „die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs oder der Masturbation an die Schwere der Symptome anpassen.“

Eine Studie kann er zu seiner These leider noch nicht vorweisen, und es gibt auch Ungläubige: Sein Kollege Mohammad Amin Abolghassemi Fakhree kritisiert, die Nachteile würden die Vorteile überwiegen. Vor allem könne man diese Technik nicht „außerhalb der eigenen vier Wände“ praktizieren.

Also endlich Frühling, hoffentlich. Das erinnert mich an eine Kollegin, die einmal behauptete, im Herbst begonnene Beziehungen würden länger halten, weil man sich im Frühling zu leichtfertig verliebe. Wir konnten diese Annahme leider nie verifizieren, deshalb werfe ich die Frage einmal in die Runde: Was hält länger? Frühlings- oder Herbstliebe?