Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Olympia-Splitter: Eine Judoka übt poetische Selbstjustiz, Becker zürnt, Transparenz beim DSV

 

Edith Bosch kam nach England, um etwas zu gewinnen. Das gelang der Holländerin beim Judo-Wettbewerb, sie holte Bronze. Nun eroberte sie zudem die Sympathien vieler Sportfans. Kurz vor dem Startschuss zum 100-Meter-Finale der Männer warf ein pöbelnder Zuschauer eine Bierflasche auf die Laufbahn (der gif-Beweis), sie landete wenige Meter hinter den Läufern, die im Startblock knieten. Im Fernsehen war das Objekt gut zu sehen.

Eine blöde Idee, vor allem, wenn man neben einer Medaillengewinnerin im Judo steht. Edith Bosch, als Zuschauerin anwesend, schnappte sich den Typen und verhinderte mit ein paar einfachen Griffen weitere Störaktionen. Der Mann konnte verhaftet werden. Nicht ausgeschlossen, dass sie dabei auch eine Technik angewandt haben könnte, für die sie in ihrer eigentlichen Disziplin von den Kampfrichtern disqualifiziert worden wäre; Judo ist ja ein reduzierter Kampfsport, bei dem vor allem Wurf- und Fallaktionen zählen.

Von den Fans erhält sie nun Lobeshymnen, es sind Grüße aus Frankreich, Deutschland, Spanien, England: „Well done, Edith!“ Sebastian Coe bekundet, dass er Selbstjustiz freilich ablehne, aber in diesem Fall von „poetry justice“ mache er gerne eine Ausnahme. Er verteilt ihr einen Ippon, die höchste Wertung beim Judo.

Frau Bosch selbst twittert: „Een dronken gast voor mij gooit een flesje op de baan!! IK HEB HEM GESLAGEN…. Ongelofelijk!!“ Holländisch kann so drollig klingen …

***

Die New York Times setzt ihre Reihe gelungener grafischer und auditiver Sportanimationen fort. Heute lässt sie alle 100-Meter-Lauf-Medaillengewinner der olympischen Geschichte gegeneinander antreten. Interessanter Nebenaspekt: Dem aktuell schnellsten Achtjährigen Amerikas (13.46 Sekunden) hätte 1896 weniger als 1 Sekunde zu Bronze gefehlt (korrigiert).

***

Trotz der Mätzchen der Läufer bei ihrer Vorstellung – ein 100-Meter-Rennen gehört zu den faszinierendsten Sportwettkämpfen. Doch der Verdacht läuft immer mit. Alle Olympiasieger seit 1984 bis auf Donovan Bailey (1996) und Usain Bolt (2008, 2012) wurden später mit Doping in Verbindung gebracht: Carl Lewis, Ben Johnson, Linford Christie, Maurice Greene und Justin Gatlin.

Es ist ein leidiges Thema, auch ein kompliziertes Thema, mit komplizierten Fragen: Ist es menschenmöglich, 100 Meter in 9,63 Sekunden und schneller zu laufen? Soll man Doping-Sünder länger sperren, automatisch für die nächsten Olympischen Spiele, wie es die Osaka-Regel vorsieht, die das IOC bevorzugt, der Internationale Sportgerichtshof aber ablehnt? Und dass jemand nicht positiv getestet wurde, bedeutet ja leider auch oft wenig.

Da tut es gut, wenn jemand Ordnung reinbringt. Der ZDF-Moderator und Leichtathletik-Experte Wolf-Dieter Poschmann sagte gestern, als er einer Bildergalerie unter anderem mit Johnson, Christie und Greene kommentierte (mitgeschnitten von @kubowski):

Das Vorhaben, Dopingsünder lebenslang wegzusperren, ist gescheitert. Und das ist auch nachvollziehbar. Weder die Vier-Jahres-Sperre noch ein Olympiaverbot sind rechtlich durchsetzbar und wären auch nicht die Lösung. Im Grunde genommen wäre es nur die Fortsetzung der Augenwischerei, der Heuchelei, des immer noch unorthodoxen, wenig effektiven Kontrollaktivismus, verbunden mit hohen Kosten und verbunden dann mit der Dämonisierung der wenigen, die dann noch ins Netz gehen. Nein, das ist nicht die Lösung.

 

Die Abendzeitung München sammelt erste Reaktionen.

Update: In der ARD spricht heute ein kenianischer Leichtathlet über die Dopingpraktiken in seinem Land: der Marathon- und 10.000-Meter-Läufer Mathew Kisorio.

***

Boris Becker war ein Serve-and-Volley-Spezialist: harter Aufschlag, ans Netz und schnell den Punkt machen. Der Return hingegen misslang ihm häufig, viele landeten weit hinter der Grundlinie. So ähnlich auch diesmal, als er auf einer PR-Veranstaltung einer kritischen Journalistin die Leviten las. Die hatte sich erdreistet, nach der Zwangsversteigerung seiner Finca auf Mallorca zu fragen. „Falsche Frage zur falschen Zeit!“, entgegnete Becker.

Bei dem Termin ging es um Beckers neue Funktion als Botschafter der englischen Tourismusbehörde. In England fühlt sich Becker mehr geschätzt als in seiner Heimat, als charmanter Tenniskommentator der BBC genießt er auf der Insel auch nach seiner Karriere einen guten Ruf.

Doch die Engländer erlebten ihn nun von seiner schwachen Seite. Nach Ende der Veranstaltung soll der Botschafter Becker sogar auf die Journalistin mit erhobenem Zeigefinger zugestürmt sein (sein Verhalten hat er später verteidigt). Die Atmosphäre war ähnlich freundschaftlich wie bei nach einem After-Match-Handshake mit Andre Agassi (ab 14:00). Die umstehenden Briten sollen betreten zu Boden geschaut haben.

***

Löbliche Transparenz beim DSV: Er schreibt seine Stellen aus, darunter die Cheftrainer Frauen und Männer. Noch löblichere Partizipation bei Jens Weinreich: Dort können Sie in dieser Sache Ihr Wahlrecht ausüben – passiv und sogar aktiv. Seepferdchen erwünscht.