Am 22. Mai sprach das Landgericht Neubrandenburg die Urteile gegen drei Männer, denen vorgeworfen wird, einen vierten über mehrere Tage gequält und gefoltert zu haben. Auslöser war die falsche Beschuldigung, ihr Opfer hätte ein Kind missbraucht und dafür im Gefängnis gesessen. Offenbar thematisierte das Gericht jedoch zu keiner Zeit, dass der nun verurteilte Haupttäter André R. seit Jahren aktiver Neonazi mit Verbindungen zur NPD ist.
Die drei Täter im Alter von 21, 30 und 41 Jahren hatten in Neustrelitz im September 2013 den 45-jährigen Roland G. über mehrere Tage gefoltert. Während sie zusammen in dessen Wohnung tranken, beschuldigte R. ihn des Kindesmissbrauchs. Der Startschuss für eine Gewaltorgie: Die Täter brachen G. die Finger, übergossen ihn mit Feuerzeugbenzin und zündeten ihn an. Auch vor einer Scheinskalpierung mit einem Fuchsschwanz schreckten sie nicht zurück. Später, im Prozess, wird für die Scheinskalpierung eindeutig André R. als Täter festgestellt. Am dritten Tag befreite die Polizei den Betroffenen, nachdem seine Peiniger Fotos von ihm bei Facebook posteten, und eine sächsische Zeugin diese der Polizei meldete.
Das Landgericht Neubrandenburg verurteilte den 41-jährigen Haupttäter André R. nun zu fünf Jahren Gefängnis wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung. Der 30 Jahre alte Uwe B. muss wegen derselben Vorwürfe für vier Jahre hinter Gitter. Nach Ansicht des Gerichts war er, im Gegensatz zu R., aber nicht die treibende Kraft hinter den Taten. Dem 21-jährigen Angeklagten konnte lediglich eine kurze Anwesenheit nachgewiesen werden. Da er jedoch einen Schlagstock mitgebracht hatte und weitere Verfahren wegen Körperverletzungen offen waren, wurde er zu zweieinhalb Jahren Jugendarrest verurteilt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Zum Tatzeitpunkt befanden sich R. und der jüngste Angeklagte unter Führungsaufsicht der Justiz. Letzterer war sogar erst etwa ein halbes Jahr zuvor aus dem Jugendarrest entlassen worden.
Die Parole „Todesstrafe für Kinderschänder“ gehört seit Jahren zum Standardrepertoire von Neonazis und der NPD. Mit Kundgebungen und „Mahnwachen“ vor den Häusern entlassener Sexualstraftäter wird oftmals versucht eine Mobstimmung zu erzeugen: Die Drohung der Lynchjustiz steht ganz klar im Raum. Viele – Anwohner, Freunde, Bekannte – sind sicher häufig von der Wahl der propagierten Mittel abgeschreckt. Der zugrunde liegende Gedanke der Selbstjustiz gegen Sexualstraftäter, insbesondere wenn Kinder betroffen sind, ist in der Breite aber sicher anschlussfähiger, als man es sich ausmalen möchte. Neustrelitz ist dabei in M-V eine durchaus neuralgische Region. In den letzten Jahren fanden hier mehrere Veranstaltungen der NPD mit Bezug zum Thema Kindesmissbrauch statt. Und erst am 15. Mai durchsuchten Polizisten Räume des NPD-Abgeordneten David Petereit in Neustrelitz, der selbst von dort stammt. Grund für die Durchsuchung war die CD einer Naziband, die Petereit über seinen Versandhandel vertreiben soll. In einem Songtext soll die Band zum Mord an Pädophilen aufrufen, wie mehrere Medien berichteten.
Umso unverständlicher ist es, wenn bei einer so grausamen Tat der neonazistische Hintergrund mindestens eines Täters nicht thematisiert wird. André R. ist Mitglied der „Freien Kameradschaft Mecklenburg-Strelitz“, einem Kleinstzusammenschluss von Neonazis, der seit einigen Jahren bei Aufmärschen und Kundgebungen von NPD und Neonazis mitmarschiert. Im Internet präsentiert sich R. im roten Shirt der Kameradschaft. Mit auf dem Foto ist auch Michael Dugall, der Anfang der 2000er Jahre den ersten NPD-Kreisverband in Neubrandenburg gründete. Am 1. Mai 2012, als die NPD in Neubrandenburg marschierte, trug er auf der Demo neben einer Fahne auch das Shirt der Nazigruppe.
R. und seine Mittäter taten letztendlich nichts anderes, als die Partei-Propaganda in die Tat umzusetzen. Indem sie ihr Opfer folterten, nahmen sie dessen qualvollen Tod in Kauf, wenn sie ihn nicht sogar planten. Reue zeigten sie Prozessbeobachtern zufolge keine. Ihre ideologische Motivation hätte gewürdigt und sich strafverschärfend auswirken müssen. Das dies offenbar nicht geschehen ist, zeigt, dass auch bei Richtern und Staatsanwälten noch Aufklärungs- und Sensibilisierungsbedarf besteht.