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Immer rein damit!

 

Kronkorken und Alufolie, Filz und Klebeband, bei Volker Bertelmann alias Hauschka gehört das alles ins Klavier. Es ist die pure Lust am Imperfekten, die ihn treibt

Hauschka Prepared Piano

Wer einmal erlebt hat, wie aufwändig das Stimmen eines Klaviers ist, der versteht, weshalb viele Musiker seinen Klang für perfekt halten. Umso faszinierender ist, welchen Reiz die Zerstörung dieses perfekten Klangs auf viele Pianisten ausübt. Henry Cowell, John Cage, Arvo Pärt, Cor Fuhler, sie alle geben sich mit den 88 Hämmern nicht zufrieden, sie öffnen ihre Instrumente und streuen Grautöne zwischen die schwarzen und weißen Tasten.

Vor zwei Jahren nahm der Düsseldorfer Volker Bertelmann unter dem Pseudonym Hauschka ein Album am präparierten Klavier auf, The Prepared Piano. Er klemmte Lederfetzen, Filzstücke und Gummi zwischen die Saiten, umwickelte die Hämmer mit Alufolie, legte Gegenstände auf die Saiten, wob Gitarrensaiten ein und verband sie mit Klebeband.

Kronkorken hüpften durch den Korpus, stumpf schlugen die abgeklebten Saiten an – oder hörte man ein Schlagzeug? Mancher Klang war so verfremdet, dass er von einem Keyboard oder einer Gitarre stammen konnte. In Wirklichkeit war auf der Platte fast nur das Klavier zu hören. Gesang gab es keinen.

Bertelmann schwelgte nicht, seine Melodien wären auch ohne die Störklänge nicht romantisch. Traffic wirkte in seinem rastlosen Drängen wie eine Hommage an Jacques Tatis gleichnamigen dialogfreien Film von 1971. Immer wieder blieben die Klänge hängen, vielen Mustern wurde die harmonische Auflösung von dumpfem Hämmern verweigert. Bei Firn stolperten beinahe alle Töne, kaum eine Saite schien unpräpariert. Kein Wort bestand aus zufällig Hingeworfenem, einer Lockerungsübung gleich – knacken da Gelenke? Nur ganz selten tauchten hier melodiöse Muster auf, manchmal hieb er mehrmals auf die gesperrte Taste ein, immer vehementer, so als vermutete er irgendwo da unten einen freundlichen Klang. Die pure Lust am Imperfekten trieb ihn zu immer neuen Experimenten, klanglich und rhythmisch.

Hauschka Versions

Die Stücke dieser Platte sind nun die Grundlage für die Versions Of The Prepared Piano. Volker Bertelmann bat elf Musiker, seine Stücke mit ihren eigenen Mitteln weiter zustricken. Sie dürften dabei auch gern singen.

Legt man die CD in den Rechner, so ordnet iTunes sie dem Genre „Unclassifiable“ zu, das ist nur gerecht. Jeder der zwölf Musiker bastelt etwas Neues und vor allem Anderes aus dem Material. Den Anfang macht Eglantine Gouzy, sie fügt Two Stones nur ihre Stimme hinzu. Im Duett mit sich selbst singt sie eine zerbrechliche Melodie. Ähnlich funktionieren World Of Things To Touch von Tarwater und Morning von Mira Calix.

Die meisten anderen Musiker gehen weniger rücksichtsvoll mit Bertelmanns Geklimper um. Barbara Morgenstern legt über die hypnotisierenden Klänge von Where Were You eine leichte Keyboardmelodie, auch sie singt dazu. Bertelmann selbst macht aus Traffic eine säuselige Popnummer mit mehrstimmigem Gesang und Schlagzeugcomputer. Vert baut in das gleiche Stück Bläser und breites Synthesizer-Bratzeln ein, dazu rappt er. Twins wird in den Händen von TG Mauss zu einer treibenden Diskonummer.

Nobukazu Takemura und Frank Bretschneider nahmen sich jeweils das Stück Kein Wort vor, es sind die beiden einzigen Instrumentalstücke auf dem Album. Takemura zerstückelt das Ursprungsmaterial mit grobem Messer, wildgewordene Bandmaschinen verspulen sich dazu, der Rhythmus ist dahin. Bei Bretschneider hingegen brummt es düster, ein mechanisches Klopfen gibt Struktur.

Die Stücke bleiben Experimente, niemand schummelt das stolpernde Klavier soweit in den Hintergrund, dass man es nicht mehr hört. Ihre Stimmungen werden weiter getragen, hier und da taumeln auch die hinzugefügten Instrumente, Klänge und Stimmen ganz gehörig. Am interessantesten ist das Album dort, wo man Versionen und Herangehensweisen vergleichen kann, weil sich mehrere Musiker über das gleiche Stück hermachen.

Vor einigen Wochen stellte Pinky Rose an dieser Stelle Alva Noto vor und sein Prinzip, Klängen durch unzählige Kopiervorgänge die Graustufen zu nehmen. Bei Hauschka funktioniert es umgekehrt. Zwölfmal werden seine kargen Stücke aus dem Jahr 2005 auf den Kopierer gelegt, in diesem sitzt ein kleiner Gnom, der willkürlich Farbe auf die Walzen der Maschine aufträgt. Im Hintergrund sieht man noch das grieselige Original, davor tummeln sich nun bunte Kleckse.

„Versions Of The Prepared Piano“ von Hauschka ist als CD erschienen bei Karaoke Kalk, ebendort erschien im Jahr 2005 „The Prepared Piano“ als CD und LP

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