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Tuff, Tuff, Tuff

 
Der Rhythmus ist stoisch, der Bass treibt eintönig. Davor dröhnen Keyboards, die Gitarrenlinien pulsieren. Electrelanes Spiel mit der Wiederholung wird nie langweilig.

Electrelane No Shouts No calls

Die Repetition hat eine lange Geschichte in der Popmusik. Schon vor dem Minimalismus von Velvet Underground spielte der amerikanische Gitarrist Bo Diddley mechanische Rhythmen, gleichförmig und präzise wie der Takt einer Lokomotive. In den Siebzigern trieben vor allem die deutschen Gruppen Kraftwerk und Can das Prinzip zur Perfektion.

Auch das Quartett Electrelane aus Brighton macht sich dieses Spiel mit der Wiederholung zu Eigen. Auf dem letzten Album Axes gab es mit Gone Darker sogar ein Stück, in dem die Musikerinnen das Bild der Lokomotive konkret aufgriffen. Man hört, wie sich ein Güterzug nähert, wie er vorbeidonnert und sich entfernt.

So seien klassische Rocklieder aufgebaut, erklärt Verity Susman, die Sängerin und Keyboarderin der Band, zumindest die Lieder von Electrelane. Meist beginnen sie zaghaft und leise, um sich dann plötzlich zu steigern und Spannung aufzubauen und diese zu halten. Irgendwann lassen sie die Stücke einfach ausklingen, ohne sie zu einem wirklichen Höhepunkt geführt zu haben.

In der repetitiven Musik Electrelanes geht es – wie auch schon in den endlosen Improvisationen bei Can – um die Freiheiten, die die Wiederholung bietet. Der stetige Rhythmus der Schlagzeugerin Emma Gaze ermöglicht der Bassistin Ros Murray und der Gitarristin Mia Clarke, ihre zunächst monotonen Linien in viele Richtungen aufzubrechen. Verity Susman wechselt derweil zwischen Synthesizer, Farfisa-Orgel, Keyboard und Klavier und gibt jedem Stück eine eigene Klangfarbe. Freiheit bedeutet ihnen nicht das Zurschaustellen von Virtuosität. Bis auf Susman sind die Musikerinnen Autodidaktinnen, Susman sagt, sie habe erst verlernen müssen, was sie konnte. Freiheit ist stattdessen die Möglichkeit, jederzeit die Richtung ändern zu können, ohne dass die Musik auseinanderfällt.

Ihr Debüt Rock It To The Moon von 2001 war noch weitgehend instrumental, erst mit dem zweiten Album The Power Out näherten sie sich klassischen Strukturen, sie sangen auch häufiger. Auf dem im vergangenen Jahr erschienenen Album Axes trieben sie die Prinzipien von Wiederholung und Variation weiter. Ein Männerchor kam zu unorthodoxem Einsatz, das Quartett führte ungewöhnliche Instrumente wie Akkordeon und Ukulele ein. Es übte sich sogar in freier Improvisation und verzichtete dabei ausnahmsweise auf das monotone Grundmuster.

Das vierte Electrelane-Album No Shouts No Calls ist in Berlin entstanden, Verity Susman lebt dort. Es ist eine richtige Pop-Platte geworden, voller Liebeslieder vom Kennenlernen, vom Kontrollverlust und vom Verlassenwerden. Sie sind eingängig und immer etwas melancholisch. Das Fundament bleibt die Repetition, der stoische Rhythmus, die markanten Linien der Gitarre, der flexible, aber treibende Bass und die pulsierenden Keyboard-Akkorde.

Das Album besteht aus einer Vielfalt von Texturen und schimmernden Harmonien. Die Schönheit der häufig mehrstimmig gesungenen Stücke und die Kraft des stetigen Rhythmus wirken geradezu euphorisierend.

„No Shouts No Calls“ von Electrelane ist als CD und Doppel-LP erschienen bei Too Pure/Beggars Banquet

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