Als Sänger der britischen Band Suede war Brett Anderson immer ein arroganter Mime. Die Stücke seines ersten Soloalbums spülen die Theaterschminke weg – er singt von echten Gefühlen
Was war Brett Anderson für ein Wichtigtuer zu Beginn seiner Karriere als Sänger der britischen Band Suede. Manchen Auftritt absolvierte er mit dem Rücken zum Publikum. In Interviews berichtete er ausführlich von seinem – Achtung, verrucht! – bisexuellen Lebensstil. Glamrock, David Bowie und Gender-Verwirrung waren die Bausteine seiner Karriere. Die Gefühle, von denen er sang, nahm man ihm nicht ab, alles war Pose. Suede wirkten wie ein gut durchdachtes, blutleeres Planspiel auf der Bühne des Pop. Die Gitarrenakkorde trieften, in den Texten reimte sich „bar“ erwartbar auf „car“. An jeder Ecke lauerte Wehleidigkeit. Die Anhängerschaft war riesig.
Ein Wandel im Auftreten setzte erst ein, als Andersons Stern sank. Auf einer der letzten Tourneen von Suede mussten sie auf Festivals die große Bühne für neue Gitarrenbands aus Amerika räumen. Suede spielten so engagiert wie nie. Zum ersten Mal glaubte man einen Blick hinter die Maske des Brett Anderson erhaschen zu können: Ein angstverzerrter Unterhalter stand da, dem die Zeit davonlief. Crack und Heroin brachten den kreativen Stillstand, im Jahr 2003 verkündeten Suede, auf unabsehbare Zeit nicht mehr gemeinsam aufzutreten. Zwei Jahre darauf nahm Brett Anderson ein Album mit der Band The Tears auf. Die Posen der Anfangsjahre legte er ab, die Gefühle, die er einst nur mimte, schienen nun echt.
Auf seinem ersten Soloalbum gibt sich der Engländer persönlich und ungeschützt. Es steigt herab von der Theaterbühne – in den Orchestergraben. Seine Luxus-Leiden haben Spuren hinterlassen, er singt von Drogen, Reichtum, seelenlosen Liebschaften und der großen, verflossenen Liebe. Viele Torch-Songs sind dabei, Liebeslieder eines unfreiwillig Entliebten. Die große Geste liegt ihm immer noch am Herzen. Streichergirlanden umranken die Lieder. Das Piano und dezente Gitarrenlinien schaffen Intimität. Das Album mutet trotz gelegentlicher orchestraler Opulenz spartanisch an.
Das Stück Scorpio Rising ist eine Referenz an den gleichnamigen Film von Kenneth Anger. Die Zeilen „There’s anger in their skin / (…) They move with murder in their veins” klingen wie ein spätes Echo auf die Halbstarken-Bilder, die Anger 1963 mit Musik von Elvis Presley, Ray Charles und Martha Reeves & The Vandellas unterlegte.
Brett Anderson hat über den Umweg einer in den Sand gesetzten Karriere zu sich selbst gefunden. Seine aktuellen Stücke erzählen nur von ihm. Manchmal rührt einen das an.
Hören Sie hier „Scorpio Rising“
„Brett Anderson“ von Brett Anderson ist erschienen bei V2
…
Weitere Beiträge aus der Kategorie POP
Air: „Pocket Symphony“ (Astralwerks/Virgin 2007)
Yoko Ono: „Yes, I’m A Witch“ (Astralwerks/Virgin 2007)
Tokio Hotel: „Zimmer 483“ (Universal 2007)
Two Birds At Swim: „Returning To The Scene Of The Crime“ (Green Ufos 2007)
Kim Frank: „Hellblau“ (Universal 2007)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik