Das Duo Air lebt von seinem guten Namen. Doch ob auf der neuen Platte oder im Konzert: Was als kühne Mondreise begann, tritt jetzt auf der Stelle.
Der Erfolg hat ihnen nicht gutgetan. Jean Benoît Dunckel und Nicolas Godin neigen zur Selbstüberschätzung, und eine riesige Anhängerschaft erlaubt es ihnen. Mit seinem ersten Album Moon Safari von 1998 hat sich das französische Duo Air ein Denkmal gesetzt. Die Platte traf den Zeitgeist, stieg vom Sofa der Musikspezialisten über die Kneipentresen in die Betten der Mengen. Wohlig vibrierte diese Musik, rührend der Gesang Beth Hirschs.
Noch neun Jahre später zehren die beiden Dandys aus Paris von der Kraft dieser Wellen. Inzwischen haben sie eine unverkennbare, perfekte Klangwelt erschaffen: butterweiche Basslinien, warme Streicher, wabernde Moog-Synthesizer und blitzsaubere Effekte in klümpchenfreier, luftgeschlagener Creme. Air serviert makellose Petits Fours, ideal, um den Augenblick zu zuckern. Den Hunger nach seelenvoller Musik vermögen sie nicht zu stillen.
Das neue Album heißt Pocket Symphony; der Titel lässt an ein Miniatur-Meisterwerk denken. Dunckel und Godin streben nach Großem, scheitern jedoch schon im Kleinen. Eine Sinfonie ist nicht nur ein künstlerisches, in sich schlüssiges Werk. Sie lebt von einer Idee und deren Entwicklung. Musikalische Einfälle finden sich auf dieser Platte nur wenige, ihre Fortschreibung sucht man vergebens.
Air hat der melancholischen Langeweile eine musikalische Entsprechung gegeben. Die Gedanken drehen sich im Kreis, der Schwelgende tritt (oder liegt) auf der Stelle, träumt von bittersüßer Liebe und dämmert in einer See aus Luft dahin. „I’m falling down, down on the ground„, lispelt Jean Benoît Dunckel im Lied Napalm Love. Einmal mitgesunken in diese 48-minütige taschensinfonische Nebelstarre, gibt es nur wenig, was einen aufhorchen lässt.
Die Melodien wirken abwesend, sie umschreiben nur die Akkorde, über denen sie schweben. Wenn Dunckel seine Stimme durch die Effektgeräte schickt und sie in liebliche Frauenchöre transferiert, liegt das Herz des Hörers längst auf eisigem Boden. Lediglich die Gastsänger Jarvis Cocker (Pulp) und Neil Hannon (The Divine Comedy) erwecken das Publikum aus der Betäubung. Ihre gesungenen Geschichten sind eindringlich; zwar kühl, aber menschlich. Sie beherrschen die Stimme als Instrument, anstatt sie mittels Instrumenten zu verfremden.
Cocker und Hannon haben ihre Lieder im Studio abgeliefert, auf Tournee begleiten sie Air nicht. So blieb das Konzert diese Woche im Hamburger Docks statisch. Stilvoll gekleidet erschienen Dunckel und Godin im diffusen Scheinwerferlicht, im Hintergrund drei Mitmusiker. Selbstverliebt und -verloren stellten die beiden Herren ihre Arrangements in den Raum – kein Lächeln, keine Schwäche, keine echte Sympathie für das Publikum. Air spielte die Musik ihrer fünf Platten. Erklangen Stücke von Moon Safari, war der Jubel am größten.
Mit diesem Album haben sich ein Mathematiklehrer und ein Architekt zur Poplegende geformt. Seither ist der Name Air eine Marke kultivierter Wellness-Musik. Das Publikum kauft ungeprüft alles, was unter diesem Zeichen erscheint. Eine zweite Moon Safari wird es aber nicht mehr geben, der Stern verglimmt. Das dämmert den Anhängern, einsehen mögen sie es noch nicht.
Hören Sie hier „Once Upon A Time“
„Pocket Symphony“ von Air ist erschienen bei Astralwerks/Virgin
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