Vordergründig handelt „That Lucky Old Sun“ von Los Angeles, in Wirklichkeit aber von Brian Wilson. Zu den beschwingten Tönen seiner frühen Surf-Hymnen verarbeitet der ehemalige Beach Boy seine Enttäuschungen
Brian Wilson hatte eine ganze Menge zu verarbeiten, immer wieder knabberte er in den vergangenen zehn Jahren an den Themen seiner Vergangenheit. So brachte er das mit den Beach Boys im Jahr 1966 eingespielte Meisterwerk Pet Sounds auf die Bühne. Und vollendete das im Jahr 1967 unter traumatischen Umständen abgebrochene Konzeptalbum Smile. Auch sein neues Album That Lucky Old Sun legt die Spur in die Sechziger, zu den unbeschwerten Surf-Hymnen der Beach Boys in der Zeit vor Pet Sounds.
That Lucky Old Sun belebt den kalifornischen Traum. Die Lieder handeln von der gleißenden Sonne, den endlosen Stränden, vom Surfen, schnellen Autos und schönen Mädchen. Das Wilson diese Erzählungen fortsetzt, ist erstaunlich. Schließlich lebte – abgesehen von Dennis Wilson – keiner der Beach Boys in der Welt, von der sie erzählten. Die Brüder und Vettern waren arme Hinterwäldler aus einer dysfunktionalen Familie. Und der Traum war purer Eskapismus, eine offensichtliche Hollywood-Konfektion, die das musikalische Genie Wilson in den schönsten Farben ausmalte.
That Lucky Old Sun ist ein Konzeptalbum über Los Angeles. Kurze Erzählungen über die Stadt verbinden die Stücke. Brian Wilson hat sie mit Van Dyke Parks geschrieben, der stand ihm schon bei Smile zur Seite. Schon immer braucht Wilson einen Helfer, jemanden, der seine Gedanken in die richtigen Worte packt. Diese kurzen Geschichten vermitteln immerhin eine Ahnung der Kehrseite des kalifornischen Traums. Dem Ständchen an das Surfer Girl, das er bereits vor 45 Jahren besang, lässt er Zweideutiges folgen: „Venice Beach is poppin‘ / Like live shrimp dropped on a hot wok / Hucksters, hustlers and hawkers / Set up their boardwalk shops / Home for all the homeless, hopeless / Well heeled and deranged / Still nothing here seems out of place or strange.“
Um die Erzählungen herum komponierte Brian Wilson sonnige Lieder, die er gemeinsam mit seinem Keyboarder Scott Bennett betextete. In Morning Beat besingt Wilson den Rhythmus der Stadt in einer Suite aus pumpender Orgel, röhrendem Saxofon, Kastagnetten und Harmoniegesängen. Auch Good Kind Of Love klingt unbeschwert, Wilson spielt eine muntere Melodie auf seinem Piano, im Hintergrund wirbeln Streicher. Fort mit den Lastern, her mit der Melodie! Sorglos pflanzt er simplen Popliedern harmonische Raffinesse ein, das verleiht seinen eingängigen Melodien Langlebigkeit. Wie damals bei den Beach Boys: Man mag ihnen immer und immer wieder zuhören.
In der zweiten Hälfte der Platte wird offensichtlich, dass That Lucky Old Sun auch als Autobiografie Brian Wilsons verstanden werden muss. Und als Versuch der Befreiung von den Geistern, die ihn trieben. In Oxygen To The Brain beklagt er „I cried a million tears / I wasted a lot of years / Life was so dead, life was so dead.“ Im albernen Refrain schließlich jubiliert er, nun endlich gelange wieder Sauerstoff in sein Hirn. Deutlicher könnte der Hinweis auf die Jahre der Depression nach dem Abbruch der Arbeiten zu Smile nicht sein.
Midnight’s Another Day nimmt Bezug auf das Wirrwarr aus Drogen und Ambitionen, das die Beach Boys seit den Aufnahmen zu Pet Sounds begleitete. Wilson berichtet, wie er sich damals immer weiter in seine eigene Welt zurückgezogen hatte: „Swept away in a brainstorm / Chapters missing, pages torn / Waited too long to feel the warmth / I had to chase the sun.“ Es ist das einzige Stück, das direkt an die nachdenkliche Stimmung von Pet Sounds anknüpft. Sein Gesang klingt zerbrechlich, die Harmonie-Gesänge umschmeicheln seine Stimme.
Southern California fasst schließlich die himmlischen Harmonien und Träume noch einmal zusammen: „I had this dream / Singin‘ with my brothers / In harmony, supporting each other // Love songs, pretty girls – didn’t want it to end / Tried to slow down the motion, so it could move us again.“ Spätestens hier wird klar, dass es in That Lucky Old Sun vor allem um eines geht: Brian Wilson hat die kalifornische Sonne wieder gefunden. Er singt nicht vom Strand, sondern von seinem Traum des Strandes. Er verarbeitet seine Vergangenheit in wohlgeformten Harmonien. Schön, dass es ihm besser geht.
„That Lucky Old Sun“ von Brian Wilson ist auf CD und LP bei Capitol/EMI erschienen.
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