Der Luxemburger Francesco Tristano hat an seinem Konzertflügel ein Technoalbum aufgenommen. „Not For Piano“ zeigt, wie Klaviermusik auch klingen kann.
Francesco Tristano-Schlimé ist ein klassischer Pianist. Kompositionen von Bach, Ravel und Berio hat er aufgenommen, aber auch Alben mit eigenen Stücken. Irgendwann durchbrach der 26-Jährige die Konzertroutine und begann zu improvisieren. Vor zwei Jahren fügte er seinem Repertoire ein überraschendes Stück hinzu: Derrick Mays Strings Of Life, ursprünglich im Jahr 1987 unter dem Projektnamen Rhythim Is Rhythim veröffentlicht. Es ist eines der frühen Stücke des Detroit-Techno.
Jetzt nahm Tristano ein ganzes Techno-Album auf, Not For Piano heißt es, zu hören ist fast nur das Klavier. Die Idee vom Techno ohne Techno-Beat hatte Derrick May bereits mit einem Remix seines eigenen Stücks verfolgt. Auf dem im Jahr 1991 erschienenen Sampler RetroTechno/DetroitDefinitive ist Strings Of Life in einer auf das Thema reduzierten Version zu hören. Es ist ein hypnotisches Stück Klaviermusik, zu dem man tanzen kann. „Es kann sein, dass ich zuerst diese Version des Stücks gehört habe“, erzählt Francesco Tristano, „und dass das der Auslöser für mein Album war. Ich bin ja nicht mit Detroit-Techno groß geworden, sondern habe die Sachen erst nachträglich kennengelernt.“
Das Faszinierende an Not For Piano ist nicht die Idee, Techno auf dem Klavier zu spielen. Die hatten auch andere schon, Maxence Cyrin zum Beispiel. Doch wo Cyrin die melodischen Anteile des Techno als Ausgangspunkt seiner Modern Rhapsodies nimmt, arbeitet sich Tristano an dem zentralen Moment des Techno ab: dem Rhythmus.
„Das Album heißt Not For Piano, weil ich darauf Musik spiele, die nicht für das Piano gedacht ist. Es ist sozusagen ein Piano-Album mit einem Augenzwinkern“, sagt er. „Der Hauptunterschied zwischen elektronischer Musik und Klavier-Musik ist ja, dass man bei programmierter Musik jeden Klang genau festlegen kann. Das Klavier hingegen ist unkontrollierbar.“ Aus diesem Kontrast beziehen seine Interpretationen ihre Faszination. Er fordert die vermeintliche Unvereinbarkeit des Techno mit dem klassischen Flügel heraus.
„Das Album wurde wie ein Klassik-Album aufgenommen. Alessandra Galleron, die Toningenieurin, arbeitet sonst für das Klassiklabel Naxos. Ich habe dann zusammen mit dem mexikanischen Techno-Produzenten Murcof beim Mastering – für das wir uns sehr viel Zeit genommen haben – den Klang präzisiert und kleine Effekte hinzugefügt“, erklärt Tristano. Die Effekte ähneln elektroakustischen Kompositionen, in denen die ursprüngliche Klangquelle elektronisch verfremdet wird.
Auf Not For Piano finden sich auch drei Coverversionen. Neben Strings Of Life sind dies Overand von Autechre und The Bells von Jeff Mills. Andover heißt das Stück von Autechre in Tristanos Bearbeitung, er transferiert ihren vertrackten Ambient in eine dunkel schwelende Etüde. Aus den delikaten Beats des Originals werden tropfende, repetitive Klaviermuster, dezent unterlegt mit flächigen elektronischen Klängen. Andover klingt wie eine sanfte Version des klassischen Minimalismus. „Techno ist Minimalismus“, sagt Tristano. „Ein Ritual. Maschinenmusik, aber das Gefühl ist organisch.“
Seine Version von The Bells unterstreicht dies. Die wuchtigen Klavierlinien und die Härte des Anschlags lassen an Charlemagne Palestine denken. Auch Cecil Taylors Definition des Klaviers als Perkussionsinstrument („88 tuned drums“) kommt einem in den Sinn. Aber The Bells klingt nicht nach freiem Jazz, Tristano entwickelt das Material wie ein klassischer Komponist. „Die ganze Idee ist, das Ausgangsmaterial zu nehmen und es dann graduell zu verändern, sodass man es am Ende nicht wiedererkennt. In der ZEIT gab es kürzlich einen Artikel über Giacinto Scelsi. Es ging darum, wie er in jungen Jahren mit lediglich einer Note gespielt hat und welche Möglichkeiten in dieser Begrenzung liegen.“
Tristanos Eigenkompositionen sind üppiger. Two Minds One Sound könnte eine Latin-House-Nummer zugrunde liegen. Ausnahmsweise nimmt er Schlagwerk, Violine und die Stimm-Improvisationen von Raimundo Penaforte hinzu. Barcelona Trist erinnert an eines der ruhigeren Solo-Stücke Brad Mehldaus. Harmonischer Jazz und klassische Etüde reichen sich die Hand. Alles dreht sich um den Rhythmus. Wie früher auf Strings Of Life, aber jetzt kommen Melodie und Beat aus dem Klavier.
„Not For Piano“ von Francesco Tristano ist als CD erschienen bei Infiné/Discograph.
…
Weitere Beiträge aus der Kategorie TECHNO
Cobblestone Jazz: „23 Seconds“ (!K7/Wagonrepair 2007)
Michaela Melián: „Los Angeles“ (Monika 2007)
Chloé: „The Waiting Room“ (Kill The DJ Records 2007)
Rechenzentrum: „The John Peel Session“ (Kitty Yo 2001)
MIA: „Bittersüss“ (Sub Static 2007)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik