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Tanzen in der Tropfsteinhöhle

 
Das erste Album der Pariser DJane Chloé führt den Hörer in klangliche Tiefen. Unser Autor staunt, welch detaillierte Schraffuren, welch geheimnisvolle Konturen es hier zu entdecken gibt.

Chloé The Waiting Room

Es geht los mit einem kurzen Stück leichter Elektronik, das so ähnlich auch in den Achtzigern entstanden sein könnte. Zu hören ist ein Reggae-Shuffle und skurrile Klänge, die an die deutsche Elektroband Der Plan erinnern. The Waiting Room ist das erste Album von Chloé Jane Thevenin, kurz Chloé. Als DJane machte sie im Pariser Lesbenclub Le Pulp auf sich aufmerksam.

Der spielerische Beginn täuscht. Wir stehen am Anfang einer Entdeckungsreise, die uns in ungeahnte Tiefen führt. Wie ihre DJ-Kollegin MIA aus Berlin nutzt Chloé das unerschöpfliche Klangarchiv der achtziger Jahre. Nicht, um ihrem Minimal-Techno eine nostalgisch glitzernde Elektro-Oberfläche zu verpassen, ihre Bezugspunkte sind vielmehr die Kühle von Throbbing Gristle und das Experimentelle der Biting Tongues. Chloé nutzt diese Klänge, um die rigiden Strukturen des Minimal zu brechen.

Das erstaunlichste Stück auf The Waiting Room ist Around The Clock. Das Ticken einer Uhr gibt den Rhythmus, eine Akustikgitarre wird geschrammelt, und Chloé singt die immergleichen Worte. Schnarrende Laute brechen den Beat auf, die Uhren vervielfältigen sich. Irgendwann beginnen eine Posaune und ein Saxofon, den Marsch zu blasen.

In vielen ihrer Stücke passiert so viel, dass man nicht mehr von Minimal-Techno sprechen mag, das ist dann schon Micro-House. Chloé ist es wohl gleich, wie man es nennt. Sie wühlt in den alten Klangarchiven und sucht ihre eigene Sprache. Sie vertieft sich in kontinuierliche Mutationen von Rhythmus und Klangverschiebungen. Stellenweise irritieren ihre merkwürdigen Halleffekte, es klingt, als stünde man in einer Tropfsteinhöhle.

„Beneath the sea / Below the ground / There is no sorrow“, singt Chloé in einem Stück, begleitet von einer gezupften Akustikgitarre und einem beschleunigten Joy Division-Bass. Drum herum schwirren elektronische und natürliche Klänge, und ein gelegentlich brummender Bass verspricht Erdung. The Waiting Room kann einen zunächst deprimieren. Doch wer sich drauf einlässt, wird fasziniert sein: Chloé führt den Hörer in klangliche Tiefen, und er staunt, welch detaillierte Schraffuren, welch geheimnisvolle Konturen es hier zu entdecken gibt.

Arbeiten übliche Tanzstücke auf Höhepunkte hin, strebt Chloé zu immer neuen Gründen. Das Album ist ein langsamer Abstieg. Alleine lässt sie einen nicht, immer haben die Stücke auch etwas Vertrautes, etwas Freundliches. Man muss es nur finden.

„The Waiting Room“ von Chloé ist bei Kill The DJ Records erschienen.

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