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Vierstimmiger Wildwuchs

 
Das Animal Collective stiftet Verwirrung: Wo kommt dieses Zirpen her? Ist das jetzt schon ein Song oder noch ein Experiment? Und wie klingen zermatschte Erdbeeren?

Animal Collective Strawberry Jam

Auf dem neuen Album des Animal Collective prangen zermatschte Erdbeeren, Strawberry Jam heißt es. Bei Strawberry denkt man im Pop sofort an einen der Klassiker des Psychedelic Pop, Strawberry Fields Forever von den Beatles. Wie die Beatles in ihrer psychedelischen Phase nutzt das Animal Collective die Möglichkeiten und Effekte des Tonstudios. Anders als die Beatles sind sie nicht auf der Suche nach dem perfekt geformten Pop-Song, sie brechen lieber die Strukturen auf, durch Klangexperimente und freie Improvisation. Der Song ist dem Animal Collective lediglich Ausgangspunkt – manchmal auch flüchtiges Zwischenergebnis –, bevor alles wieder in wildes Getrommel, seltsam zirpende Synthesizer-Klänge, frenetisches Geschrei und mäanderndes Geschrammel zerfällt.

So war das jedenfalls lange Zeit. Auf der Platte Feels aus dem Jahr 2005 und dem Soloalbum Person Pitch des Kollektiv-Mitglieds Panda Bear deutete sich eine Hinwendung zum Pop-Song an. Mit Strawberry Jam ist das Kollektiv dort angekommen. Eine Affinität zu den Harmoniegesängen der Beach Boys hatten sie schon immer, jetzt leben sie sie voll aus. Nicht im Sinne des perfekten Klangs, sondern als vierstimmiger Wildwuchs. Man hört ihnen an, dass sie zur Perfektion fähig wären, allein – sie wollen sich dem Wohlklang nicht fügen. Der Unwille bricht sich Bahn in vokalen Ausbrüchen, die hier wie Adam Ants Vorstellung von Indianer-Gesängen und dort wie die enthemmte Version avantgardistischer Chormusik klingt.

Die Vielstimmigkeit findet sich auch im Instrumentalen. Klänge werden verfremdet, bis man nicht mehr sicher ist, welchen Ursprungs sie sind. Diese flirrenden Akustik-Gitarren könnten auch Synthesizer sein. Und ist das Getrommel wirklich handgespielt oder eine quer programmierte Rhythmus-Box? Die Klänge haben eine desorientierende, luminös schimmernde Dichte, die den Hörer in Euphorie versetzen. „Confusion is always a good thing in music!“, verfügte Bandmitglied David Portner einst apodiktisch.

Das klingt nach Hippies? Die Mitglieder des Animal Collective sind Hippies. Hippies, die wahrnehmen, was um sie herum vorgeht. Hippies, die sich bevorzugt in der Natur aufhalten, aber in Brooklyn leben. Hippies, die ihr Bewusstsein mithilfe technischer Spielereien erweitern.

Die Erdbeere auf dem Album ist nicht umsonst zermatscht. Nur so sieht man, ob das Zermatschen nicht eine neue Form der Schönheit schafft. Und das tut es.

„Strawberry Jam“ vom Animal Collective ist als CD und Doppel-LP bei Domino Records/Rough Trade erschienen.

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