Barry Lyndon ist ein Springinsfeld, der den Zufall auf seine Seite zieht und sich durch die Absurditäten des Lebens zu mogeln weiß. Er ist der Held des gleichnamigen Films von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1975. Der Film ist komisch und detailverliebt. 3000 Kerzen ließ Kubrick leuchten, um künstliches Licht zu vermeiden. Die goldenen Locken des Helden sollten in schummriger Wärme abgebildet werden. Mit dem Charme einer Putte und Kraft seiner Lenden gelangt Lyndon in die feine Gesellschaft, geschickt passt er sich den Gegebenheiten an.
Der Barry Lyndon des Jahres 2008 heißt James Pants. Er ist Musiker und kommt aus Spokane, Washington. Irgendwie hat er seine Demoaufnahmen nach L.A. geschmuggelt, zufällig hat ein Plattenboss ein Ohr riskiert. Demos aus der Kleinstadt werden meist ungehört entsorgt, schließlich ist Spokane nicht Seattle und schon gar nicht New York.
Sein Debütalbum Welcome nährt sich vom Disco-Funk nach Art von Larry Levan, Arthur Russell und ESG. Sambaesque Kuhglocken, verhallende Stimmen und treibende Rhythmen tönen direkt aus der goldenen Zeit des New Yorker Hedonismus hinüber. In dieser Musik kommen lauter hässliche Elemente zu etwas Wunderschönem zusammen, nie läuft sie schnöde durch.
Mit lässig übergeschlagenen Beinen blickt Pants uns entgegen. Sein Schneider geht auf Nadelstreife, Pants ist so blass, dass man ihm einen Apfel reichen möchte. Selbst im härtesten Macho weckt dieser Mann Muttergefühle. Er schwitzt nicht, er ist weder schwarz noch schwul – weshalb also gelingt ihm dieses musikalische Kunststück?
Chuzpe sei Dank, macht Pants aus längst Dagewesenem etwas Eigenes. Er fremdelt ein bisschen in der Disco, sicher ist er Hypochonder. Den Funk fasst er nur mit der Pinzette an, legt ihn ein in Salzsäure. Seine Finger bedienen 3000 Tasten. Besser: Seine 3000 Finger bedienen Tasten. An Klavieren und alten Synthesizern, deren Klangspektrum er mannigfaltig zur Schau stellt. Immer wieder leiten geräuschhafte Brücken zum nächsten Stück über und erzählen noch eine kleine Geschichte. Solche Auslassungen in Miniaturform ziehen den Eingelullten in den Groove zurück.
Heute würde man Kubricks Barry Lyndon wohl einen Dandy nennen. Früher hätte es der Amerikaner Pants vielleicht zum Adelstitel Graf von Hose geschafft. Er ist ein wahrer Könner. Seine Musik ist so tanzbar und vielfältig, dass man sich gleich acht Füße wünscht, um sie Tentakeln gleich übers Tanzparkett zu wirbeln.
„Welcome“ von James Pants ist auf CD und LP erschienen bei Stones Throw/Groove Attack.
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