Der Schweizer Pianist Nik Bärtsch verdichtet auf „Stoa“ winzige Motive zu einer rhythmisch packenden Musik – die im Dunstkreis seiner berühmten Plattenfirma leider unscharf wird
Nein. Das kommt mir als Erstes in den Sinn. So mag ich das nicht. Ich mochte die Musik von Nik Bärtsch, wie er sie auf sechs in der Schweiz erschienenen Platten gespielt hat, eine kantige, körnige, durch und durch originelle Musik, die nicht nur das Publikum zum Staunen und oft genug zum Ausflippen bringt, sondern auch die Kritik mit hinreichend Stoff zur Versorgung der Texttriebwerke beliefert.
Und wie groß war die Freude, als Bärtsch, der in der Schweiz schon hinter jedem Berg gespielt hatte, nun in Deutschland entdeckt wurde, von einem Label mit Weltruf, wohl dem erfolgreichsten deutschen Jazz-Label überhaupt, von ECM. Aber in dieses Gefühl mischte sich gleich die Sorge, auch das Schweizer Präzisionsuhrgestein Bärtsch könne Schaden nehmen durch die alles überwölbende Klangvorstellung des ECM-Produzenten Manfred C. Eicher.
Und wenn ich mir nun Stoa anhöre, die erste Platte des Nik Bärtsch auf ECM, dann ist es so gekommen. Eicher hat seinen Hall drauf gemacht auf die felsige, schroffe, schikanös-repetitive Funk-Musik des Nik Bärtsch. Plötzlich stehen Schwaden über diesen Klangmassiven, verschwimmt sein heiliger japanischer Ernst, verbiegt sich unter Weichmacher eine Ästhetik, die bis dahin unnachgiebig stand, ein Monument zwischen der Minimal Music des Steve Reich und der Sexmaschine des James Brown.
Hinfjord damit! Als Musiker bei ECM, so scheint es, muss man eine Schäre im Kopf haben. Denn hier wallen und schwallen seit Jahrzehnten allzu viele Produktionen unter skandinavischem Nebel. Musik für behagliche Winterabende am Kamin. Es gab Ausnahmen, Aufnahmen, die hoffen ließen – so hätte auch Bärtsch eine Chance haben können.
Schade. Aber jetzt genug des Furors. Seine Musik ist immer noch da. Nicht mehr so gestochen scharf wie auf Rea, aber in ihren groben Umrissen durchaus zu erkennen. Manch ein Hörer, der sich durch den Münchner Dunst vortastet zur Härte des Bärtschen Kerns, wird erschrecken. Diese Musik ist kein Wohlfühl-Jazz und auch kein mathematisches Minimalpermutieren, und sie ist auch nicht hormonell-orgiastisch. Sie entwirft aus gnadenlos wiederholten Klavier-Bass-Schlagzeug-Motiven einen so kraftvollen, mitziehenden wie letztlich undurchdringlichen Schwung, dass man während eines Konzertes – zusätzlich angestachelt durch Perkussion und Bassklarinette – oft nur noch aufspringen und aufschreien kann. Mit der Haltung eines entfesselten Samurais führt der 35-jährige Pianist, Komponist und Japannarr Bärtsch seine Band Ronin wie sein Publikum durch nächtelange Konzerte, in denen alles und nichts geschieht.
Dieser beharrliche Schweizer hat die europäische Instrumentalmusik um völlig Unerwartetes bereichert. So darf, so wird diese Platte nicht sein letztes Wort sein.
Hören Sie hier „Modul 32“, von Nik Bärtschs neuer Platte „Stoa“, erschienen bei ECM.
Zum Vergleich: „Modul 23“ von „Rea“ aus dem Jahr 2004, erschienen bei TMR.
Und hier spricht Nik Bartsch über die Ritual-Groove-Musik und dann sein Publikum über ihn, befragt von Christian Broecking auf dem Zürcher Unerhört-Festival Ende November 2005.