Madonna und Andy Warhol tanzten zu diesem Klang. Wenn in den New Yorker Clubs in den frühen Achtzigern Grace Jones’ My Jamaican Guy oder Born Under Punches von den Talking Heads aufgelegt wurde, bebte der Tanzboden. Dass dieser Soundtrack zur Nacht in den gemütlichen Compass Point Studios auf den Bahamas produziert wurde, wussten nur wenige.
Lange gehörten sie zu den begehrtesten Aufnahmestudios weltweit. Wer genug hatte von polierten Holzfußböden und monströsen Mischpulten, der kam nach Nassau. Bands wie Roxy Music, AC/DC und die Rolling Stones ließen sich von der mediterranen Atmosphäre inspirieren und nahmen hier ihre besten Alben auf.
Neben solchen Rockalben entwickelte sich hier auch eine Spielart der Clubmusik, die die New Yorker Schickeria in Aufregung versetzte. Unter der Aufsicht des Studioleiters Chris Blackwell verknüpften die sogenannten Compass Point All-Stars Soul, Reggae, Rock, Disco und New Wave. Die schrulligen Kompositionen der Studioband machte an kaum einer musikalischen Grenze Halt. Solche Offenheit reizte viele Künstler, hier konnten sie sich neu erfinden und mit unterschiedlichen Stilen experimentieren.
Für den unverwechselbaren Klang der Studios sorgten neben der Band und den hauseigenen Tontechnikern die legendären Produzenten Sly & Robbie. Sie bedienten sich der Techniken des Dub, um den Stücken Tiefe zu verleihen. Das Ergebnis war häufig abseitig und exzentrisch klingende Diskomusik, die eigentlich zu schräg war für einen kommerziellen Erfolg. New Yorker DJs wie Larry Levan und François Kevorkian machten viele der bei Compass Point aufgenommen Stücke zu Hits.
Auf der Kompilation Funky Nassau kann man nun die musikalische Bandbreite und Experimentierfreude des Studios bestaunen. Wie wohltuend sie klingt, diese Entspanntheit im ansonsten so konventionellen Genre Disco. Gleich im zweiten Stück Genius Of Love von Tom Tom Club kommen die unterschiedlichen Einflüsse zu Gehör. Zu einem unwiderstehlichen Groove spielt der Zappa-Gitarrist Adrian Belew eine funkige Gitarre, mehrere Frauen hauchen und rappen die Namen ihrer musikalischen Helden: James Brown, Bob Marley, Kurtis Blow, Bootsy Collins.
Auf Funky Nassau treffen schwarze Musikkultur und der Art Rock nach Art David Bowies oder der Talking Heads aufeinander. Von Berührungsängsten ist keine Spur – ganz nach dem Motto „Who need to think when your feet just go?“. Die Stücke sprudeln vor Leichtigkeit, die kindlicher Albernheit oft nicht fern ist. Die Punk-Ikone Ian Dury wagte in den Compass Point Studios die Grenzüberschreitung und nahm Spasticus Autisticus auf. Das kontroverse Stück erschien 1981 anlässlich des Jahres der Menschen mit Behinderung, Dury warb darin sarkastisch für Toleranz, die BBC verbannte es aus ihrem Programm. Ob seines schwarzen Humors und der skurrilen Mischung aus Punk und Disco gehört Spasticus Autisticus zu den Höhepunkten der Zusammenstellung.
Dass Disco eine arg verschrobene Angelegenheit war, beweist auch You Rented A Space, das Robert Palmer mit der Trash-Queen Cristina aufgenommen hat. Zickigen Tanz-Punk spielten die Schotten Set The Tone ein. Beinahe klassische Disco-Stücke von Guy Cuevas und Gwen Guthrie sowie der experimentelle Dub von Sly & Robbie vervollständigen die Werkschau. Auch wenn sich einige der 13 Stücke in Schrulligkeit verlieren, ist Funky Nassau eine unterhaltsame Lehrstunde in Sachen Clubmusik.
„Funky Nassau – The Compass Point Story 80-86“ ist als CD erschienen bei Strut/Alive.
…
Weitere Beiträge aus der Kategorie FUNK
„Disco Not Disco“ (Strut/!K7 2008)
Marcus Miller: „Free“ (Dreyfus Records/Soulfood Music 2007)
Medeski Scofield Martin & Wood: „Out Louder“ (Emarcy/Universal 2007)
Nik Bärtsch: „Stoa“ (ECM 2006)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik