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Elvis lebt in Addis Abeba

 
Anfang der Siebziger schepperten Soul, Funk und Jazz durch die Gassen der äthiopischen Hauptstadt, über 500 Platten erschienen. Die Serie Éthiopiques erinnert an die fünf goldenen Jahre des ostafrikanischen Landes.

The Very Best Of Ethiopiques

Kolonialisiert wurde Äthiopien nie, dennoch litt der Prozess der Demokratisierung unter typisch afrikanischen Problemen. Der Sturz des Kaisers Haile Selassie im Jahr 1974 brachte nicht die Freiheit, sondern eine Militärregierung. Mitte der Achtziger forderte eine Hungersnot Millionen von Opfern, als das Regime im Jahr 1991 zusammenbrach, hinterließ es eine traumatisierte Gesellschaft. Seitdem ist Äthiopien eine fragile parlamentarische Demokratie.

Alles wäre einfacher, drehte die Welt sich um Musik. Dieser Gedanke drängt sich auf, vertieft man sich in das Album The Very Best Of Éthiopiques, eine Zusammenstellung äthiopischer Pop- und Jazzmusik aus den Sechzigern und Siebzigern. Man lauscht den Klängen Mulatu Astatkes und versteht mehr von der Welt. Er zog nach England zum Studieren und kam mit Jazz und Latin-Musik zurück. Genau genommen ein Re-Import, bezieht sich der westliche Jazz doch bereits auf die Musik des schwarzen Kontinents. Astatke brachte ihn zurück nach Addis Abeba. Kein Jazz der Welt klingt wie seiner.

Die Geschichte der äthiopischen Musik ist eine Geschichte der Repressionen. Im Kaiserreich gab es nur eine staatliche Plattenfirma. Sie allein durfte Platten produzieren, tat es aber kaum. Im Jahr 1969, da schwächelte die Feudalherrschaft bereits, gründete der 25-jährige Amha Eshèté die erste unabhängige Plattenfirma. „Ich war sicher, niemand würde mich dafür umbringen. Allenfalls würde man mich eine Weile einsperren“, erzählt er heute. Er nannte die Firma Amha Records, ein Beweis seiner Furchtlosigkeit.

Amha Eshèté geschah nichts und die Hauptstadt Addis Abeba wurde zu Swinging Addis. Aus Polizeiorchestern gingen Bands hervor, das Nachtleben pulsierte. Westliche Einflüsse mischten sich mit Traditionellem, es vibrierten Funk und Soul. Wenn das Saxofon solierte, waren shellèla zu hören, die Strukturen altertümlichen Schlachtgesangs. Der populäre Sänger Alèmayèhu Eshèté galt den einen als äthiopischer James Brown, den anderen als äthiopischer Elvis.

Rund 500 Platten erschienen in den fünf Jahren bis zum Militärputsch, die meisten davon waren Singles. Die Aufnahmetechnik ist rudimentär, das Schlagwerk scheppert, Stimmen und Saxofone zerren übersteuert. Der Musik schadet das nicht, sie klingt warm und lebendig.

Der Umsturz nahm Addis den Swing. Musik wurde verdächtig, Nachtclubs geschlossen, der Spaß verboten. Viele der Künstler gingen ins Exil, mit ihnen Amha Eshèté. Die Produktion von Schallplatten kam im Jahr 1978 zum Erliegen. Die Musik der Gebliebenen veränderte sich, sie zogen sich ins Private zurück. Synthesizer ersetzen die Bands, so konnte unauffälliger produziert werden. Synthesizer können nicht swingen, die goldene Zeit der äthiopischen Musik war vorbei.

Ali Abdella Kaifa, der Betreiber des Tango Music Shop, brachte weiterhin viele der Aufnahmen unters Volk. Er wurde Ali Tango genannt und veröffentlichte Kassetten, denn sie waren leicht herzustellen und zu verbreiten. Es heißt, von einigen Titeln habe er mehr als 100.000 Stück verkauft.

Seit dem Jahr 1998 entstaubt das französische Label Buda Musique die musikalischen Perlen aus Swinging Addis. Mehr als 20 Alben und Kompilationen sind in der Serie Éthiopiques bereits erschienen, jede einzelne Platte ist hörenswert. Zum Einstieg eignet sich die nun erschienene Doppel-CD The Very Best Of Éthiopiques, sie zieht ein wohlklingendes Resümee der letzten zehn Jahre.

Haben sie genug vom Buena Vista Social Club? Dann hören Sie mal nach Äthiopien.

„The Very Best Of Éthiopiques“ ist als Doppel-CD erschienen bei Union Square Music/Soulfood Music.

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