Ist das der Nachbar, der da brabbelt? Die Tür muss mal wieder geölt werden. Oder maunzt die Katze? Jetzt macht sie sich über die Töpfe her. Stimmen, Quietschen, Klappern: Es passiert viel in der Musik von Dinky. Der pochende Puls des Techno ist nur ein Klang von vielen.
Im Minimal-Techno herrscht eine neue Freiheit. Das stete Bum-Bum-Bum-Bum wird von Ellipsen überlagert. Klangschnipsel jeglicher Herkunft gesellen sich zu den guten alten Bekannten, zum geraden Wumms, zum rhythmischen Klavier. Da setzt der Taktschlag auch mal aus, ziehen Blaskappellen um die Häuser.
Der erfolgreiche DJ Ricardo Villalobos nahm sich mit seinen Produktionen einiges heraus und öffnete das Genre. Seine Stücke wurden immer länger und seltsamer, die Tanzenden liebten das. Wie Ricardo Villalobos wurde auch Dinky in Chile geboren, ihr bürgerlicher Name ist Alejandra Iglesias. In New York begann sie eine Karriere als Tänzerin und Choreografin. Am Tage tanzte sie, in der Nacht ließ sie tanzen. Nach dem 11. September 2001 änderten die Vereinigten Staaten ihre Visa-Politik, Dinky musste ausreisen. Seitdem lebt sie in Berlin.
Mehr noch als die Melodien liegen Dinky die Zwischentöne am Herzen. Als Kind hatte sie Klavierunterricht, heute hört sie häufig moderne Klassik. Ihr Album May Be Later sei von dem Pianisten Erik Satie inspiriert, erzählt sie. Sie schätze seinen Umgang mit Disharmonien, die eine Spannung hervorriefen, die im zeitgenössischen Pop oft fehle. Von Satie stamme auch die Idee, kleine musikalische Motive zu wiederholen – heute hilft dabei der Sampler.
Dinky füttert ihren Sampler mit frühem Jazz und Blues aus Chicago und afrikanischer Musik. Und auch wenn der Ursprung der Klänge auf May Be Leter sich meist nur erahnen lässt, liegt Dinky viel an der Tradition der Schwarzen Musik. Ihre Stücke orientieren sich nicht an der europäischen Funktionsharmonik, sondern an Mikrotonalität und Synkopen. Viele basieren auf orientalischen Skalen. Ihr Keyboard habe da so einen Schalter, erzählt sie, den habe sie einfach umgelegt, weil ihr der exotische Klang gefiel.
So klingt das Album ebenso wegweisend wie tanzbar. Durch Mars Cello eiert ein verfremdeter Gong, kehlige Stimmen wispern insektenhaft, Schaben und Rascheln erzeugen eine unheimliche Stimmung. Der stete Puls wird von Handklatschen und einem vibrierenden Bass begleitet. Burdelia klingt wie eine Samba-Schule im Weltall: Polyrhythmen umtänzeln Fiepgeräusche. Anders als Ricardo Villalobos erzeugt Dinky Dichte. Ihre Stücke sind sehr konzentriert. Hier mäandert nichts, hier wird geschichtet. Ein richtiges Lied gibt es auch, auf She Is Moving klingt der Sänger Big Bully wie Jamie Lidell.
Manchmal erinnert May Be Later an Brian Enos und David Byrnes Klassiker der Klangcollage, My Life In The Bush Of Ghosts. Eno und Byrne schufen damals im Jahr 1981 ein neues Verständnis von Weltmusik: Alles ist Klang! Aus allem lässt sich Musik machen! Die Geräusche, Stimmen und Instrumente aller Welt existieren gleichberechtigt nebeneinander. Dinky macht sich dieses Verständnis zu eigen: Man kann in ihre Stücke eintauchen und immer wieder Neues entdecken. Und man kann dazu tanzen, denn alles ist Rhythmus.
„May Be Later“ von Dinky ist als CD und Doppel-LP erschienen bei Vakant/Rough Trade.
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