Früher war Damon Albarn Sänger der Band Blur. Heute macht er, was er will. Sein letzter Streich ist die chinesische Oper „Monkey – Journey To The West“, die doch ganz nach Pop klingt.
Vier goldenen Regeln sollte der Popstar folgen: Lass, erstens, die Finger von der Weltmusik. Nimm, zweitens, kein Soloalbum auf, es sei denn, du kannst es groß vermarkten. Gründe, drittens, niemals eine Supergruppe. Und bleib, viertens, um Himmels Willen bei deinen Leisten.
In seinem ersten Leben war Damon Albarn Sänger der Band Blur, ein Popstar also. In seinem zweiten Leben bricht er nun die Regeln. Er wagt Ausflüge in die musikalische Ferne, nahm etwa in Mali und Nigeria auf – nie trat er als Gutmensch auf, nie klang das Ergebnis betulich oder gar kolonialistisch. Er zog sich während einer Tour mit Blur ins Hotelzimmer zurück und veröffentlichte hernach Democrazy: Zwei Dutzend glasknochiger Liedfragmente, nachzuhören nur auf Schallplatte. Er gründete mit drei namhaften Musikern die Gruppe The Good, The Bad & The Queen. Statt mit Streit und Skandalen erfreute sie die Öffentlichkeit mit einem fabelhaft gelassenen Album.
Nun bricht er auch die vierte Regel, er wechselt das Fach. Gemeinsam mit dem Zeichner Jamie Hewlett – mit dem er bereits die virtuelle Band Gorillaz ersann – und dem chinesischen Regisseur Chen Shi-Zheng schuf er eine Oper, Monkey – Journey To The West. In den vergangenen zwölf Monaten bestaunten beinahe 100.000 Menschen das Ergebnis in Manchester, Paris und London. Rund einhundert Artisten turnten über die Bühne, begleitet von Hewletts Zeichentrickfilmen. Die Geschichte stammt aus dem 16. Jahrhundert, gesungen wird auf Mandarin. Nun erscheinen 22 der Stücke des Spektakels auf einer CD, die man im Laden zwischen Blur, Gorillaz und Mali Music in der Pop-Abteilung finden wird.
Schon spannend, wie der Kontext die Wahrnehmung verändert. Der Münchner Folk-Musiker Andi Stäbler alias G.Rag etwa nahm gerade mit den Landlergschwistern ein ganzes Album mit Polkas, Landlern und Wirtshausklassikern auf, ungeschliffen aber doch ganz und gar volkstümlich. Das Album erscheint bei dem Indielabel Gutfeeling und wird meist wohlwollend rezensiert, es dürfte auch in dem ein oder anderen des Volkstümlichen unverdächtigen Haushalt laut erklingen.
Oder Alexander Marcus: Seine Mischung aus minimalem Techno und geistlosem Schlager ist dem musikalischen Ausfluss der Flippers nicht fern, dennoch sitzen seine Anhänger nicht in Altersheimen und auf Ohrensesseln, sondern im Hörsaal und auf Designersofas. Bei den Indie-Festivals des Sommers jubelten ihm Massen schräggescheitelter Jugendlicher zu. Die Plattenfirma und seine Stilberater verkaufen Marcus als Indie-Star. So schlucken nun viele die bittere Pille Schlager, ohne mit der Wimper zu zucken. Oder Madlib: Auf mehreren Platen durchmischte der respektierte HipHop-Produzent Klangfetzen aus Bollywood-Filmen mit seinen flirrenden Rhythmen und breiten Basstrommeln. Damit füttern selbst Menschen ihre Autolautsprecher, denen der Anblick von Shahrukh Khan Unwohlsein bereitet.
Und Monkey? Albarn fröhnt einer ganz erstaunlichen Art der Opulenz. Die Gesten sind groß, wie sich das für eine Oper gehört, aber sie erklingen aus analogen Synthesizern, Schlagzeugcomputern und den Ondes Martenot. Oft füllen die überkandidelten Spielhöllen-Klänge der Gorillaz die Zwischenräume. Die meisten Lieder sind kürzer als zwei Minuten, das hält den Überschwang sowieso in Grenzen. Und, das ist entscheidend, Albarn meint seinen Ausflug in die Oper nicht ironisch. Er komponierte die Musik nach einer volkstümlichen chinesischen pentatonischen Skala, und doch trägt jedes Stück seine Handschrift – das gelang ihm bislang bei jedem Projekt. Die Schwere ist seine Sache nicht, überall schwingt eine leichtfüßige Melancholie mit. Auch ohne Bilder klingt Monkey – Journey To The West an vielen Stellen wie ein Popalbum.
Zu welchen Gelegenheiten man so eine Platte hört? Keine Ahnung. Aber man kann sie immerhin neben der Stereoanlage liegen lassen, wenn Freunde kommen. Versuchen Sie das mal mit der CD von Miss Saigon!
„Monkey – Journey To The West“ ist als CD bei XL Recordings/Beggars Banquet erschienen. Eine unfassbar teure Vinyl-Ausgabe ist erhältlich bei The Vinyl Factory
…
Weitere Beiträge aus der Kategorie POP
The Dodos: „Visiter“ (Wichita/Cooperative/Universal 2008)
Primal Scream: „Beautiful Future“ (B-Unique/Warner 2008)
Klaus Nomi: „Nomi“ (RCA 1981)
Martina Topley-Bird: „The Blue God“ (Independiente/Rough Trade 2008)
Carla Bruni: „Comme Si De Rien N’Etait“ (Ministry of Sound/Edel 2008)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik