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Kunstschnee in Blashyrkh

 

Die norwegischen Schwarzmetaller Immortal erheben die Streitäxte und lassen den Eiswind toben. Wacker haben sie ihr neues Album „All Shall Fall“ eingespielt

Unser Audioplayer wird derzeit überarbeitet
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In der Sprache der Inuit mag es 28 Wörter für Schnee geben, aber die Black-Metal-Band Immortal findet immer noch eines mehr. Selten zuvor wurde die vierte Jahreszeit so opulent und ausgiebig besungen wie von den Herren Abbath, Appollyon, Horgh und Demonaz aus der norwegischen Kleinstadt Bergen.

Als Erfinder so wetterfühliger Songtitel wie Unsilent Storms In The North Abyss, Frozen By Icewinds und Cursed Realms Of The Winterdemons gelten Immortal längst als die ungekrönten Schneekönige des Black Metal.

Während andere Nebelkrähen ihr Heil in Edvard-Grieg-Zitaten oder sumpfigen Kellersounds suchten, blieben Immortal ihrem schockgefrosteten Klang treu. Wie kaum eine andere Black-Metal-Band inszenieren sich Immortal vollkommen widerspruchslos und ironiefrei.

Die Musiker verstehen sich nicht als Abgesandte des Gehörnten, sondern als echte Rock’n’Roller: Die böse Schminke und das fotogene Hantieren mit Streitäxten gehören zum Pflichtprogramm. Auf den Spott der Unwissenden antwortet der Sänger und Gitarrist Abbath lediglich mit einem ein kehligen Krächzen.

Auch die neue Platte All Shall Fall jagt uns hinaus in das Land, wo Graupel schauert und Schneematsch liegt: Blashyrkh nennen Immortal dieses Reich der Fantasie. Seit Jahr und Tag besingt die Band die ewige Eiswüste hinter den dunklen Bergen. Da regiert ein Rabenkönig mit harter Kralle, da tobt der schwarze Sturmwind, da stehen Gruselburgen. Grobe Horden stürzen sich in Kriege, die bis in alle Ewigkeit andauern – und noch 100.000 Jahre länger. Die Sonne ist immer schwarz, was das schlechte Wetter erklärt. Da in Blashyrkh niemals gegen Glatteis gestreut wird, bewegen sich die Bewohner zu Pferde fort und stürzen sich mit Gebrüll hinab ins Tal.

© Peter Beste/Immortal/Nuclear Blast
© Peter Beste/Immortal/Nuclear Blast

Auch auf All Shall Fall wird wieder unheimlich viel geritten. Dazu krächzt der Reiseführer Abbath gewohnt anschauliche Naturbeschreibungen: „Black fire burns the horizon / Ravens fly high in the sky / A breeze lifts the fog from the ice.“ Oder mal so: „The arctic swarm a fiend, of frost and ice / Gathering winds that howl in frost lines.“ Es ist ein großer Spaß mit anzuhören, wie viel Mühe sich der Texter Demonaz gegeben hat, immer neue Beschreibungen für den dritten Aggregatszustand von Wasser zu finden.

Musikalisch bewegen sich Immortal auf gewohnt dickem Eis: Alles klingt nach Thronsaal oder Schlachtengetümmel. Wobei sich wieder einmal bewährt, dass die Band im Notfall auf die Wirkung des allmächtigen Riffs setzt, anstatt ständig rasende Attacken reiten zu müssen.

Tatsächlich galoppiert All Shall Fall nicht so schnell wie der Vorgänger Sons Of Northern Darkness. In epischen Liedern wie Hordes of War und Unearthly Kingdom klingen Immortal zwar immer noch mitreißender und mächtiger als der Rest der geschminkten Kollegen, dennoch kommt mitunter so etwas wie Langeweile auf. Das ist tödlich im Black Metal, den man ja vor allem hört, um sich von all dem schwarzen Theater gut unterhalten zu lassen.

Zu oft rockt die die Band einfach nur gemütlich vor sich hin. Sogar ein geklampftes Intro hat sie sich gegönnt – das wirkt wie Kunstschnee in Blashyrkh. Weil All Shall Fall die Kompromisslosigkeit früher Jahre abgeht, ist es am Ende einfach nur ein sehr wacker eingespieltes Album. Experimentelle Gruppen wie Wolves In The Throne Room, Xasthur oder Velvet Cacoon haben den überfälligen Brückenschlag zwischen Black Metal und experimenteller Musik längst vollzogen. Mit Immortal hingegen verhält es sich wie mit diesen verflixten Bergen aus Eis. Sie sind einfach immer da. Dran vorbei kommt man aber auch nicht.

„All Shall Fall“ von Immortal ist bei Nuclear Blast erschienen.