Sonic Youth im Jazzgewand – kann das funktionieren? Das Schweizer Pianotrio Rusconi tritt mit seinem Tribute-Album „It’s A Sonic Life“ den Beweis an.
Verdammt, sieht Kim Gordon immer noch gut aus. Ja, klar, hier geht’s um Musik, nicht um körperliche Vorzüge, Moment, kommt gleich, aber guckt doch nur mal kurz, einmal bildgoogeln, bitte. Ich meine, hallo? Die Frau geht auf die 60 zu! Da bleibt nur ein Schluss: Noiserock hält jung.
Für die, die echt noch (zu) jung sind, eine kurze Einführung: Kim Gordon ist Bassistin und Sängerin der amerikanischen Rockband Sonic Youth, die sie 1981 zusammen mit Thurston Moore und Lee Ranaldo gründete. Außerdem ist sie bildende Künstlerin, Designerin und Filmemacherin. Und sie sieht immer noch verdammt gut aus. Aber das hatten wir ja.
Außerhalb kultureller Nischen – in denen die unverbesserlichen Postpunks und No-Wave-Nostalgiker hausen – sind Sonic Youth nicht mehr so ganz präsent, obwohl sie 2009 mal wieder ein Album vorgelegt haben. Man kennt eher andere Gruppen, die von der Band inspiriert waren und sind, aber näher am Mainstream in dessen alternativen Wirbeln schwimmen: Nirvana, Pavement, Smashing Pumpkins.
Stattdessen haben gerade Leute ein Ohr für die Band, die man mit brachialen Geräuschgewittern so gar nicht in Verbindung bringt: die Jazzer. Immerhin keimten Sonic Youth Anfang der Achtziger in derselben Manhattaner Szene wie John Luries Lounge Lizards. Kim Gordon und ihre Mitmusiker spielten einzeln oder als Kollektiv mit Jazzern wie dem New York Art Quartet, Derek Bailey, Mats Gustafsson und William Hooker. Und auch unter eigenem Namen tobten Sonic Youth sich in zünftigen Improvisationen aus – nur eben unter Einbeziehung von Verstärker-Fiepen und verzerrtem Donner.
Sonic Youth steckten also irgendwie schon immer im Jazz. Jetzt zeigt die Band Rusconi, wieviel Jazz in Sonic Youth steckt. Das Trio des Schweizer Pianisten Stefan Rusconi erliegt auf seinem Tribute-Album It’s A Sonic Life nicht der Versuchung, die beiden lärmigen Gitarren wörtlich in krachige Klänge zu übersetzen. Das größte Zugeständnis an den Sonic-Sound: Im Song The Destroyed Roomkreischt eine Kette auf den Klaviersaiten, ein wenig Knete dämpft das Gehäuse. Präpariertes Piano ist aber keine Revolution mehr, das gab’s schon einst bei John Cage.
Kein Krawalljazz also, kein punkifiziertes Pianotrio. Aber Stefan Rusconi, der Bassist Fabian Gisler und der Trommler Claudio Strüby treiben sehr wohl einen druckvollen Groove voran, mit knackigen Klavierakkorden zu bullerndem Bass und einem Schlagzeug, dass mit Garage mehr zu tun hat als mit irgendeiner Lounge.
Das Eröffnungsstück Sunday führt mit Verve in eine spannungsreiche, stilvolle und handwerklich hervorragende Platte, die mit den Alben von Sonic Youth vor allem eins gemeinsam hat: die beträchtliche Energie. Selbst wenn sich warme Harmonien filigran weiterspinnen, liegt eine amphetaminhaltige Unruhe darunter, etwa im gruselfilmsoundtrackigen Hits Of Sunshine (For Allen Ginsberg) oder in Sonic-Klassikern wie Schizophrenia, Theresa’s Sound World und Hoarfrost.
„Die Musik von Sonic Youth hat sich über viele Jahre wie ein Gefühl in mir aufgebaut“, sagt Stefan Rusconi. Er hörte Kim Gordon und ihre Kollegen, seit er 13 war, und mit 16 auch live. „Wie diese Musiker da standen und einfach ihr Ding machten, egal, was die Leute dachten, das fand ich unglaublich stark“, erinnert sich der Bandleader. Das Konzert in der Roten Fabrik in Zürich sei ihm „total eingefahren“.
Die anderen beiden Musiker „kennen zwar die Band, sind aber nicht wirklich mit den Stücken vertraut“, sagt der Chef des Trios, das sich 2001 zusammenfand, als die drei noch an den Musikhochschulen in Zürich, Luzern und Bern studierten. „Ich habe mir ungefähr 30 Songs ausgesucht, zu denen ich einen starken emotionalen Bezug hatte, brannte eine CD, die ich den beiden geben konnte, schrieb aber gleichzeitig skizzenartig Harmonien, Grooves, Basslinien oder dergleichen auf. Die brachte ich dann mit in die Proben.“
Da bastelten sie an den Songs, dekonstruierten, rekonstruierten und hobelten, dass die Späne flogen. Von manchen Songs sind nur Zitate geblieben, und von dreien nur einzelne Textzeilen, um die Stefan Rusconi eigene Songs komponierte, aus A Cat in Gold wurde etwa A Cat Goes Along. „Wären nur Leute wie ich im Trio gewesen, die Sonic Youth seit 15 Jahren intensiv hören“, sagt der Pianist, „wäre unser Umgang mit dem Material längst nicht so kreativ gewesen. Im Probenprozess konzentrierten wir uns aber ganz auf uns selbst und hatten bald das Gefühl, Stücke zu spielen, die ich eigens für die Band geschrieben hätte.“
Rusconi gingen ans Limit: „Einmal mussten die Studiotechniker eine Aufnahme abbrechen, weil sämtliche dreißig Mikrofone total übersteuert waren“, sagt Rusconi – „wir machen eben Rock, aber aus der Sicht von Jazzmusikern.“ In dieser Perspektive eigneten sich nicht alle Songs als Rohmaterial. Gerade bei den langsamen, sagt Stefan Rusconi, hätten sie einfach nicht den Druck der Rockband aufbauen können.
Besonders schwierig waren von der Stimme dominierte Stücke – besonders die, in denen Kim Gordon singt. Stefan Rusconi: „Vielleicht liegt es daran, dass ihre Nummern viel punkiger und stärker auf den Text konzentriert sind.“ Macht ja nix. Auch ohne Kim-Songs gilt für Rusconis Jazz: Noiserock hält jung.
„It’s A Sonic Life“ von Rusconi ist erschienen bei Sony Classical.
Tourdaten: 21. 5. Neunkirchen, 22. 5. Lüdinghausen, 26. 5. Dessau, 27.5. Gera, 28. 5. Hamburg, 29. 5. Zürich, 5. 6. Bad Muskau