Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Das Kratzen im Hals des Pop

 

Ein Genre für sich: Der Berliner Radikalchansonnier Hans Unstern zeigt, dass unzeitgemäße Unverdaulichkeit in diesen Tagen eine notwendige Tugend ist.

© Rough Trade

Hans Unstern kratzt. Optisch, klanglich, die ganze Person kratzt. Seine verwahrloste Kopfbehaarung löst beim Betrachter Juckreiz aus, sein Gesang hinterlässt ein Gefühl tiefer Verstörung. Es ist, als würde man einem Waldschrat zuhören, der auf seinem Weg durchs textliche Unterholz Metaphern aufstöbert, die sonst auf der ganzen Welt ausgestorben sind. Von „vertrockneter Tinte für ein dickes Buch im Bauch“ weiß er zu berichten, einmal sogar von Penissen auf der Überholspur, während die Musik rätselhaft vor sich hin lärmt. Hans Unstern ist, mit einem Wort, ziemlich unverdaulich. Einerseits.

Andererseits nennt der Berliner Künstler sein Debütalbum programmatisch Kratz Dich Raus. Ist Unverdaulichkeit nicht eine notwendige, nachgerade unersetzliche Tugend in diesen Tagen? Die Erde verbaut, die Luft verpestet, die Moral verlogen, wo man auch hinschaut Mitmacher, Anpasser, Aufhübscher, die den Soundtrack zum fröhlichen Untergang beisteuern. Nicht so Unstern. Im Konzert lässt er ein schreiendes Saxofon mit Gitarrenrückkopplungen zur gezupften Geige ringen. Auch im Studio, das er unlängst zur Produktion seiner CD aufgesucht hat, zeigt er sich vorwiegend von seiner kakofonen Seite. Das hat nicht nur etwas, es hat uns gerade noch gefehlt.

In einer Zeit, in der es als Gipfel zivilisatorischen Fortschritts gilt, alle paar Monate ein neues Handy zu besitzen, schlüpft Hans Unstern in die Rolle des Unzeitgemäßen. Er ist der Antistar unter den Sternchen, der Fehler im System, das Knacken in der Leitung eines universal gewordenen Kommunikationsgetöses. Wo seine Generationsgenossen sich eifrig vernetzen, stellt er sich bewusst daneben, wo sie sich nach der Decke strecken, lenkt er den Blick zurück auf das schwer Verwertbare. Unstern propagiert seine Kunst auf eine unmoderne, indes aktuelle Weise: dadaistisch, verschroben, abseitig. Musizieren als Existenz in der Nische, die ihm mehr Bewegungsfreiheit lässt als der vermeintlich freie Raum drum rum.

Es sind die Verweigerungsgesten einer versunkenen Avantgarde, die ihn in Text wie Musik so anders machen. „Gebt ihm Flügel er will gleiten / Durchschweben schwerelose Zeiten / Richtung Sturzflug einem Donner in die Arme“ – solche Passagen haben mit den Zeilen expressionistischer Dichter mehr gemein als mit griffigen Slogans für die Hitparade. Als Lyriker ist Unstern ein manischer Leser, der das Pathos nicht scheut, als Musiker will er Sand sein im Getriebe der Welt. Als Typus verkörpert er das Unbehauste, Haltlose, den Outsider, in selbst gewählter, schönheitsverspottender Radikalverzottelung.

Deshalb sollte man ihn auch nicht mit den vielen anderen Bartträgern verwechseln, die in den letzten Jahren Karriere machten: Kulturzausel in zerrissenen Leinenschuhen und Röhrenhosen. Während die Akkuratesse-Verweigerung von Singer-Songwritern wie Devendra Banhart so modisch daherkommt wie die fettige Mähne eines Jonathan Meese, treibt Unstern seine Kunst in unbekannte Grenzbereiche zwischen Free Jazz, Punk, Liedermacherei und Chanson. Wer unbedingt Parallelen ausfindig machen möchte, findet sie dort, wo er sie nicht unbedingt sucht: beim frühen Jochen Distelmeyer, in den Archaismen der Einstürzenden Neubauten, im dichterischen Aberwitz eines Joachim Ringelnatz.

Im Grunde ist Unstern sein eigenes Genre, er klingt mal wütend wie im Opener Agnet, mal romantisch wie im Liebeslied Endlos Endlos, im einen Moment radikal atonal wie im redseligen Flecken, dann wieder unvermutet harmonisch wie im instrumentalen Interlude. Wenn er seine Stimme wie ein Fragezeichen unters tosende Orchester legt, fehlen nur noch Weimarer Ausdruckstänzer – und die Schönheit des Irrsinns wäre vollkommen. Aber auch so wollen wir seinen Namen loben. Hans Unstern ist das Kratzen im Hals des Pop: Zuerst ist man irritiert. Das anschließende Husten indes befreit ungemein.

„Kratz Dich Raus“ von Hans Unstern ist erschienen bei Staatsakt/Rough Trade.

Dieser Text wurde veröffentlicht in der ZEIT Nr. 20/2010.