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Wunderbare Kopisten

 

Indierock in großherzigem Moll: Wintersleep aus Kanada klingen wie Interpol zu ihren besten Zeiten. „New Inheritors“ heißt ihr aktuelles Album.

© One-Four-Seven Records

Auf Waschzettel oder Presseinfos, wie man heute sagt, kann man sich verlassen. Einiges ist darin zu erfahren über Einflüsse und Kumpanen, Idole und über Bands, die die Bühne mit den Beworbenen teilten. Die Referenzen sind wohlgewählt, einerseits zeichnen sie mit am Image einer Band, andererseits ist Unterscheidbarkeit ein wichtiges Kriterium. Wenn eine Band schon haargenau so klingt wie, sagen wir, Daft Punk, dann steht alles im Presseinfo – außer Daft Punk.

Nehmen wir Wintersleep: New Inheritors heißt ihre neue Platte. Die White Lies und die Editors nahmen sie mit auf Tour, Hank Williams und Flannery O’Connor hörten und lasen sie dort (steht jedenfalls im Presseinfo). Nur dass die Lieder ihrer neuen Platte von denen der New Yorker Band Interpol kaum zu unterscheiden ist, das steht da nicht. Weil’s peinlich wäre?

Ist es doch gar nicht. Denn einerseits war Interpol zumindest eine zeitlang eine fantastische Band, und andererseits klingt heute alles wie irgendetwas anderes. Und wer soviel Selbstironie in den Albumtitel legt, der kann sich einiges erlauben. Die neuen Erben, haha.

Wintersleep kommen aus Halifax, Kanada. New Inheritors ist ihre vierte Platte. Und man hört jetzt, wie wenig Interpol immer mit denen gemein hatten, die zuvor als ihre neuen Erben gehandelt wurden, mit den White Lies und den Editors etwa. New Inheritors ist so kantig, wie es Turn On The Bright Lights und Antics waren, die Melodien sind aufregend und ungewöhnlich, dräuend und bitter. Leicht angezerrte Gitarren, mal plapperhaft, mal mies gelaunt schimpfend, vergießen großherzig Moll, der Bass rührt im Sumpf.

Und dann ist da natürlich die Stimme von Paul Murphy, dunkel und gepresst wie die von Interpols Paul Banks. Er bellt kurze Strophen und legt dann alle Energie in ausufernde Refrains. Im Hintergrund heult die Band, dass es eine Freude ist. Stücke wie Black Camera schäumen bald über vor Melodie, dabei singt Murphy reichlich poetisches, kulturpessimistisches Zeug (wie, naja, Sie wissen schon…). “You will find me in the gullies of your mind”, schwadroniert er in Trace Decay, niemand liebt dich, außer der Wein. “Are you alive? Does it still hurt? Yeah, you’re alive – but what’s it worth?”, heißt es in Encyclopedia. Liebe und Verachtung, Lebenslust und Lebensmüdigkeit sind nur schwer auseinanderzuhalten.

Wintersleep sind wunderbare Kopisten. Interpol ließen eine Lücke, sie waren zuletzt kaum mehr sie selbst. Ihr letztes Album war holprig und zäh, kürzlich waren sie sogar mit U2 auf Tour – und auch die nun zu vernehmenden Vorboten des kommenden Werks machen kaum Hoffnung auf Besserung.

So ist es nur gerecht, dass sich die Erben lautstark zu Wort melden.

“New Inheritors” von Wintersleep ist bei One-Four-Seven Records/Soulfood erschienen.