Die Bowerbirds meinen es ernst mit der Stadtflucht: Sie bestaunen die Naturschönheiten North Carolinas und begeistern mit ihrem Brombeerfolk Tausende Blogger.
„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte.“
Das stammt, wie wir spätestens seit dem Club der toten Dichter wissen, aus Henry David Thoreaus Naturtagebuch Walden. Die Bowerbirds sind so etwas wie eine dreifaltige Reinkarnation des Schriftstellers aus Massachusetts.
Bowerbirds – Tuck The Darkness In by Bowerbirds
Dabei hatte Phil Moore, damals Sänger und Gitarrist der Indierock-Band Ticonderoga und im Hauptberuf Webdesigner, gar nicht vor, wie Thoreau sein Leben in einer Hütte zu fristen. Er zog nur in die Wälder von North Carolina, um für einen Nebenjob Vögel zu beobachten. Dann aber stieß seine Freundin Beth Salmon dazu, die sich als Künstlerin Beth Tacular nennt: Wo ließe sich besser malen als in der Einöde?
Moore und Tacular gingen nur noch einmal zurück in die Stadt, um den Bandkumpels von Ticonderoga tschüs zu sagen. Dann zogen sie in die Pampa und sangen bukolische Lieder. Beth schlüpfte in etwas Selbstgestricktes und lernte Akkordeon spielen. Phil ließ sich den Bart stehen. Später komplettierte Multiinstrumentalist Mark Paulson das Trio, das 2007 sein erstes Album herausbrachte.
Oh je, könnte man jetzt meinen, Songs für verwöhnte Stadtkids auf Provinztrip, Soundtrack für Landlust-Leser. Aber die drei sind keine Gutverdiener in der Lebensmittenkrise mit durchfinanziertem Bauernhausimitat – sie zimmern ihre Balkenhütte selbst, haben sich die naiven Hörner an der Doppelbelastung aus Touren und Hausbau gründlich abgestoßen und Erfahrung mit Beziehungsstress, Krankheit und sterbenden Bekannten gesammelt.
Mit Appetithappen für das neue Album The Clearing (Die Lichtung) haben die Bowerbirds sich bei Hype Machine unter die Top Ten der meistbebloggten Bands geschoben. Einer schreibt: „Mag sein, ihre Songs brauchen eine Minute, um sich festzusetzen, aber ihr Klang ist engelsgleich und sie scheinen auch ganz allgemein coole Typen zu sein.“
Der Sound der nach dem architektonisch anspruchsvolle Balzplätze bauenden Laubenvogel (Ptilonorhynchus) benannten Band ist breiter geworden, auch dank einer Reihe von Freunden, die mit Holzgebläse und Posaunen, Streichinstrumenten und Vibrafonen vorbeischauten. Herrliche Harmonien in unvorhergesehenen Wendungen klöppeln sie, türmen Akkordeon-Klavier-Streicher-Schichten, rumpeln durch basstrommelgestützte Klampfmelodien.
Die Texte handeln von Eichhörnchen im Gebälk und rotem Dreck unter den Fingernägeln, von barfuß gepflückten Junibrombeeren und der Aussaat wilder Träume im frisch geeggten Land. Man kann das abgeschmackt finden. Man kann sich aber auch von drei ganz allgemein coolen Typen aus Raleigh, der Partnerstadt von Rostock, an die Hand nehmen lassen und mit ihnen großäugig staunend vor diesem anderen Leben da draußen stehen, dem mit dem Rauch und dem rostigen Licht und den goldenen Feldern. Und mit dem Tod; auch der hat seinen Platz.
Leicht freakiger Folkpop ist das, ländlicher als Devendra Banhart, erdiger als Lavender Diamond. Und immer wieder singen sie diese wundervollen Vokalchöre, die kitschig sein müssten, wären sie nicht so ehrlich. John Darnielle (The Mountain Goats) hat die Laubenvögel schon vor langem zu seiner Lieblingsband ernannt: „Wenn die drei unisono singen, klingen sie wie ein Kult, der wirklich die Geheimnisse des Universums entdeckt hat.“ Wer weiß.
„The Clearing“ von Bowerbirds ist erschienen bei Dead Oceans/Cargo Records. Einziger absehbarer Deutschland-Auftritt: Lido, Berlin, 26. April