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Die Krise wird Pop

 

England hat ein nächstes großes Ding: Die Band Toy modernisiert Krautrock, Psychedelic und Dream Pop und macht daraus zeitgemäße Schwermut zum Wohlfühlen.

© Cooperative

Britische Musiker haben es bekanntlich nicht allzu schwer, zum nächsten großen Ding ausgerufen zu werden. Die hyperventilierende Poppresse gibt diese Chance nahezu jeder Band, die ihre Instrumente richtig herum halten kann und dabei nicht allzu hässlich aussieht.

Tom Dougall, Maxim Barron und Dominic O’Dair ist jetzt allerdings das Kunststück gelungen, innerhalb von nur wenigen Jahren bereits zum zweiten Mal als Hoffnung apostrophiert zu werden. Der erste Versuch als Joe Lean & The Jing Jang Jong ging 2008 noch in die Hose, ein fertig eingespieltes Album wurde niemals veröffentlicht. Nun, unter dem ungleich knackigeren Namen Toy, scheinen sich die hochgesteckten Erwartungen doch noch zu erfüllen.

Wieder mal gelten der Sänger Dougall, der Bassist Barron und der Gitarrist O’Dair, diesmal unterstützt vom Schlagzeuger Charlie Salvidge und der Keyboarderin Alejandra Diez, als die Band, die den Sound der Zukunft prägen soll. Dazu reisen sie auf ihrem schlicht Toy betitelten Debütalbum allerdings leidenschaftlich tief in die Vergangenheit.

So stellte der Guardian fest, dass Toy nicht nur „so aussehen wie eine Krautrockband von 1972“, sondern auch noch so klingen. Tatsächlich: Das Quintett trägt die Frisuren sehr langhaarig, die Jacken sehr zottelig und die Hemden gern im Paisley-Muster, das in der Popgeschichte bekanntlich als visuelle Umsetzung von Erfahrungen mit den Droge LSD gilt. Auch musikalisch drängen sich Metaphern aus dem Apothekenschränkchen auf, denn die Band kreist so lange meditativ um ein Gitarren-Riff, bis dem Hörer schwindelig wird. Das Schlagzeug ist monoton, der Bass einschläfernd, aber Verstärker, Verzerrer und Echobox dafür bis zum Anschlag aufgedreht, ganz nach dem Motto: Lautstärke statt Abwechslung.

Auf der Bühne, so wird berichtet, ist die Band im Trockeneisnebel oft kaum noch zu erkennen. Dazu lässt Frau Diez, die aus Spanien stammt, die analogen Synthesizer wabern, als wäre sie die uneheliche Tochter aus einer Affäre zwischen Eberhard Schoener und Edgar Froese. Und jedem, der immer noch nicht verstanden hat, worum es geht, singt Dougall ins Poesiealbum: „So breathe in deep and unlock yourself from your very mind„.

Früher nannte man dieses Verfahren Bewusstseinserweiterung“. Von einer reinen Retro-Band unterscheidet Toy allerdings, dass sie geschickt den Bogen von den psychedelischen Sechziger Jahren über den Krautrock der frühen Siebziger und das Shoegazing der Achtziger und Neunziger bis in die vom ätherischen Dream Pop geprägte Jetztzeit schlagen. Wenn man so will, errechnen Toy den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Neu!, My Bloody Valentine und ein bisschen The xx.

Weil der eine oder andere Song, vor allem My Heart Skips A Beat, auch noch eine hittaugliche Melodie aufzuweisen hat, fällt der Psychedelic Rock von Toy heute allerdings nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz, sondern ist sogar fit fürs Radio. Aus einem Sound, der einst vor allem entstand, um bleierne Zeiten in Klang zu gießen, ist nun also endgültig Popmusik geworden. Toy spielen den Soundtrack zu einer Krise, die längst zum Dauerzustand geworden ist: Es klingt noch ein wenig bedrohlich, aber fühlt sich nicht mehr wirklich gefährlich an.

„Toy“ von Toy ist erschienen bei Heavenly/Cooperative Music/Universal.

Live: 20.11. Köln, 21.11. Hamburg, 27.11. Berlin, 28.11. München