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Sprachlose Wortgewalt

 

Nahezu tragisch: Die beste junge Rapperin der Welt hat nichts zu sagen. Zwar zwang Angel Haze ihre Plattenfirma in die Knie, aber ihr Debütalbum „Dirty Gold“ geht kaum hinaus über Sportartikelwerbung.

© Mathieu Young
© Mathieu Young

Ginge es nach Universal Music, erschiene dieser Text erst in drei Monaten. Die Veröffentlichung von Angel Hazes Debütalbum Dirty Gold war für Mitte März angesetzt, die Rapperin aus Brooklyn aber durchkreuzte den Plan, indem sie die bereits mehrmals verschobene Platte kurz vor Weihnachten selbst ins Internet stellte. Anschließend schrieb sie von leeren Versprechungen ihres Arbeitgebers. Aus dem Vorfall könne die Plattenfirma ja vielleicht lernen, ihr Wort zu halten. Dirty Gold wurde schließlich vorgezogen auf den 30. Dezember.

Die Lektion: Es gibt immer etwas zu lernen bei Raykeea „Angel Haze“ Wilson, einer 22-jährigen Kämpferin und Gerechtigkeitsfanatikerin, deren impulsives Gemüt schon seit Längerem große Hip-Hop-Hoffnungen schürt. Manchmal rappt und handelt sie schneller, als sie denkt: Man sieht das an der frühzeitigen Veröffentlichung von Dirty Gold, kann es aber auch aus jeder Sekunde des Albums heraushören. Haze agiert mit bestrafender Wortgewalt, ihre schiere Intensität ist ebenso überwältigend wie die mühelosen Tempoverschärfungen, die ihren Stil kennzeichnen. Käme Kunst allein vom Können, Angel Haze müsste sich hinter niemandem verstecken.

Umso ärgerlicher, dass sie ihr Talent auf Dirty Gold für eine Botschaft verschwendet, die kaum über die Werbeslogans von Sportbekleidungsherstellern hinausgeht. Angel Haze erhebt das Durchhalten und Durchsetzen zur zentralen Lebensaufgabe. Just do it, impossible is nothing. Erstaunlicherweise heißt es nur einmal „keep running„. Schwächen, Scheitern und Zwischentöne prügelt die Rapperin weg mit der Unnachgiebigkeit einer Fitnesstrainerin. Zur Belohnung folgt ein großer, lebensbejahender Refrain – der Moment auf Dirty Gold, in dem Engel ihre Flügel ausbreiten, nichts mehr unmöglich ist und auch Du es schaffen kannst.

Dass man keine allzu ausgeprägte poetische Ader braucht, um gute Raps zu schreiben, hat Angel Haze selbst schon bewiesen, vor allem mit dem viel beachteten Cleaning Out My Closet. Der Track von Oktober 2012 erzählt von Vergewaltigungen, die die Kindheit der Musikerin jäh beendeten: ausführlich, akribisch und unsentimental, lehrreich ohne belehren zu wollen. Auf Dirty Gold geht Angel Haze nicht nur bedeutend schulmeisterlicher vor, sie wagt sich auch nicht mehr an solche sensiblen Stoffe heran. Mit Blick auf den plumpen Selbsthilfe- und Selbstermächtigungsansatz des Albums ist das ein beinahe begrüßenswerter Verzicht.

Für Cleaning Out My Closet übernahm Angel Haze das Instrumental des gleichnamigen Eminem-Klassikers. Ihre besten Tracks folgen bis heute diesem Prinzip der Selbstbedienung, das ihr erlaubt, sich ganz auf die Rolle als Rapperin zu konzentrieren. Dass ein solches Vorgehen für Dirty Gold nicht mehr in Frage kam, legt ein weiteres Problem offen. Angel Haze hat den Großteil ihrer neuen Stücke mit dem Coldplay– und Arcade-Fire-Produzenten Markus Dravs geschrieben. Auf aktuell angesagte Beatlieferanten verzichtete sie ebenso wie auf Beiträge anderer Rapper.

Die Hoffnung auf ein eigenständiges Hip-Hop-Album kann Dirty Gold trotzdem nicht erfüllen. In seinen besten Momenten klingt es, als wäre eine Straßenrapperin über Coldplays Mylo Xyloto hergefallen. In den schlechten singt Haze über ausrangierte Rihanna-Instrumentals und müht sich ab an einer schwer nachvollziehbaren Vorliebe für den Spätneunziger-Radio-Rock von Train und The New Radicals.

Wo das hinführen soll, bleibt ebenso offen wie alle anderen Fragen zu Richtung und Absichten von Dirty Gold. Weder Markus Dravs noch Angel Haze selbst scheinen etwas anfangen zu können mit dem außerordentlichen Talent der Künstlerin. Fürs Erste bleibt sie die beste Rapperin der Welt, die absolut nichts zu sagen hat.

„Dirty Gold“ von Angel Haze ist erschienen bei Republic Records/Universal Music.