Die Regisseurin Valeska Grisebach konfrontiert uns in ihrem Film „Sehnsucht“ (Berlinale Wettbewerb) mit dem Sujet von Romeo und Julia. Sie versetzt die vierhundert Jahre alte Liebesgeschichte von Shakespeare in ein kleines Dorf in der Nähe von Berlin.
Ella (Ilka Welz) und Markus (Andreas Müller) sind unsterblich ineinander verliebt. Ihre Liebe wird allerdings – wie auch bei Romeo und Julia – auf eine Bewährungsprobe gestellt. Diesmal sind es nicht die Eltern, die sich den Verliebten in den Weg stellen: Es ist ein One-Night-Stand. Markus feiert mit seinen Freunden von der freiwilligen Feuerwehr bis zur Bewusstlosigkeit. Am nächsten Morgen wacht er im Bett von Rosa auf, kann er sich aber an den Verlauf des Vorabends nicht mehr erinnern. Obwohl ihn die ungewollte Liebesnacht quält, kann er die Beziehung zu Rosa nicht abbrechen. Wiederholt versucht er, die Affäre zu beenden, verfällt dabei jedoch Rosa immer wieder. Bis Rosa eines Tages bei einem ihrer heimlichen Treffen vom Balkon eines Hotels stürzt. Ob es ein Unfall war, bleibt für den Zuschauer eine ungeklärte Nebensache. Rosa überlebt das Unglück, will ihn aber nicht mehr sehen. Der Vorfall lässt sein Fremdgehen auffliegen, ihn seine Frau verlässt ihn. Markus zerbricht an der Situation und versucht, sich mit einer Schrotflinte das Leben zu nehmen.
„Es waren einmal ein Mann und eine Frau. Die haben sich sehr geliebt…“ – erzählt ein kleines Mädchen die Geschichte von Markus und Ella ihren Freunden am Ende des Films. Sie verrät uns, dass der Markus überlebt hat. – „Mit welcher Frau ist er denn jetzt zusammen?“, fragen die anderen Kinder. Das Mädchen zuckt mit den Schultern: „Hm …“ und schaut in die Kamera: „Ja! Genau!“ – Das Ende der Liebesgeschichte bleibt im Film offen, die Frage wird an die Zuschauer weitergegeben: Wie würde ich die Geschichte beenden? Gibt es denn die wirkliche Liebe? Habe ich nicht auch die Sehsucht, „für immer und ewig“ zu lieben und geliebt zu werden?
Der Titel konfrontiert uns mit einem sehr persönlichen ‚Sehnsucht’-Verständnis der Regisseurin, die sie „als wilde Kraft, die viel über einen Menschen erzählen und gleichzeitig auch eine bittersüße Prise Abschied, Verzicht in sich tragen kann“ empfindet.
Der halbdokumentarische Stil des Films erinnert an den „kleinen deutschen Film“, wie z.B. „Die Halbe Treppe“ von Andreas Dresen. Die Geschichte ist von einer beeindruckenden Spontaneität und Natürlichkeit geprägt. Wortkarg, fast ohne Musik aber mit einer unglaublichen Präzision im emotionalen Detail entwickelt der Film seine eigene ausdrucksvolle Sprache. Die Regisseurin übermittelt ihre Botschaft vor allem durch das nonverbale Interagieren der Figuren. Die vielen ergreifenden Momentaufnahmen, wie z.B. Markus’ selbstvergessener Tanz als Robbie Williams, und die schlichten und unverbrauchten Gesichter der Laienschauspieler verleihen der Geschichte über Elle und Markus einen rührenden Charme.