Wieder eine Dorfgeschichte, aber wie anders ist sie!
Der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Requiem“ erzählt die Geschichte von Michaela Klingler, einer jungen Frau, die ihr Pädagogik-Studium in Tübingen antritt und damit erstmals aus der verschlafenen Dorfgemeinschaft ausbricht. Ihr neues Leben genießt sie in vollen Zügen, bald jedoch häufen sich die Epilepsie-Anfälle. Nach langen Krankenhausaufenthalten schien die Krankheit in der behüteten Umgebung ihrer Eltern schon unter Kontrolle zu sein, – der Rückfall trifft sie schwer. In ihrem von tiefer Religiösität geprägten Umfeld hat man die Ursache schnell ausgemacht: Ihr weltlicher Lebenswandel in der Stadt.
1976 starb die 23jährige Anneliese Michel aus Klingenberg am Main an Unterernährung. Nach dem letzten Exorzismus auf deutschem Boden im Auftrag des Würzburger Bischofs wog sie nur noch 31 Kilogramm. Hans-Christian Schmids („Nach 5 im Urwald“, „Crazy“, „Lichter“) Film „Requiem“ ist nach „The Exorcism of Emily Rose“ der zweite Film, der sich mit diesem Fall beschäftigt.
Der Film hat mich sehr berührt. Zunächst fühlte ich mich in meine Studiumsanfangszeit versetzt: wie ein Kind freute ich mich über mein erstes eigenes Zimmer in einem Studentenwohnheim: Tür an Tür mit Hunderten anderer Mädchen. Mein erster Computer, der nur als eine Schreibmaschine gut war. Die Hausarbeiten, die ich erst in durchgearbeiteten Nächten geschrieben habe; Und die Enttäuschung, dass sie doch niemand gelesen hat. Auch das kleinbürgerliche Milieu der Nachkriegsgeneration ihrer Eltern hat der Regisseur sehr gut getroffen.
Der weitere Ablauf der Ereignisse bleibt uns jedoch völlig unverständlich: Michaela entfernt sich vom Zuschauer, was durch die distanzierten Kameraaufnahmen betont wird. Wir verlieren sie. Ein ‚Requiem’ ist für Regisseur Hans-Christian Schmid ein Lied der Gefühlsausbrüche, die er bei dem Zuschauer auslösen will. Man möchte der Protagonistin sagen: „Mensch, kapier doch, das ist nicht so, wie du denkst!“, wie es Schmid in einem Interview ausdrückte. Die Teufelsaustreibung selbst wird in einer Härte gezeigt, dass mir noch einige Zeit nach dem Film schlecht war.
Eine echte Entdeckung: Die Schauspielerin Sandra Hüller. Für ihre Rolle in „Requiem“ wurde sie bereits mit dem Bayerischen Filmpreis 2006 als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet. Hans-Christian Schmid hatte schon einmal das richtige Gespür: In seinem Film „Nach fünf im Urwald“ sahen wir zum ersten Mal die Schauspielerin Franka Potente.
Wie entscheiden sich die Juroren in Berlin? Die Schlussphase eines Wettbewerbs ist immer beinahe quälend spannend – aber nicht mehr lange: Die Auflösung kommt heute! Die Preisverleihung findet um 19 Uhr im Berlinale Palast statt.
Der Kinostart des Films „Requiem“ ist zwei Wochen nach der Berlinale am 2. März 2006.