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Alexanderplatz ist nicht gleich Alexanderplatz

 

„Jochen! Ich war im Fernsehen! Ich hab 16.ooo Euro gewonnen. Bei der SAT 1 Quizshow!“ So tönte es kürzlich aus meinem Telefonhörer. Christian, ein Bekannter der seinen Lebensunterhalt üblicherweise zu gleichen Teilen als Friseur und Astrologe verdiente, war dem Rat eines Freundes gefolgt, der zu berichten wusste, dass man bei SAT1 stets händeringend nach Quizshowkandidaten sucht. Hatte sich beworben, war gecastet worden und hatte nach drei Wochen einen Drehtermin erhalten, den er als Sieger verließ.

Ausgerechnet Christian, diese völlige Nachtjacke. Sofort betrat ich die Sat1-Website und bewarb mich bei genannter Quizshow als Kanditat. Die Fernseh-Maschinerie lief wie geschmiert, nur drei Wochen später bekam ich eine briefliche Einladung der Produktionsfirma Grundy TV. Ich hätte mich am kommenden Sonntag im NH Hotel Berlin-Alexanderplatz einzufinden. Es finde ein Casting mit Allgemeinbildungstest statt, außerdem solle man zusätzlich überlegen, wie man die Summe von 1000 Euro originell verbraten würde, wenn man sie denn bekäme. Mit dieser Fangfrage wollte man wohl testen, wie originell man so drauf ist. Na, die würden sich aber wunder, würden die sich aber!

Auch fies: Das „NH-Hotel Alexanderplatz“ ist zwar in Berlin, aber nicht direkt am Alexanderplatz, sondern sicherlich drei Kilometer davon entfernt. An dieser Hürde würden nicht wenige andere Castingteilnehmer bereits scheitern, da war ich sicher. Um Punkt elf fuhr ich mit einer Droschke vor, in der völligen Gewissheit ich würde hier abräumen wie ein Fürst. Für die 1000 Euro-Sonderprämie, hatte ich mir ausgetüftelt, würde ich eine Vorleserin engagieren, die in einem Kinderheim behinderten und tschernobylverstrahlten, mehrfach amputierten Kleinkindern den ganzen Tag Geschichten vorläse. Verschweigen würde ich natürlich, dass diese Vorleserin meine gutaussehende Bekannte Sophia wäre, die die erhaltenen 1000 Euro nach der dummen Vorleserei mit mir in der Berliner Victoria Bar auf den Kopf bzw. Tresen hauen würde.

Siegesgewisser Einzug in die Hotellobby, am Tresen klingeln alle Telefone Sturm, die Rezeptionisten erklären ein ums andere Mal, nein, das NH Hotel ist nicht DIREKT am Alexanderplatz, Sie müssen die Tram 4, 5 oder 6…..

Lächle still.

Soll mich im Tagungsraum „Königs Wusterhausen“ einfinden. Vor genanntem Tagungsraum stehen 80 Leute sich die Beine in den Bauch. Einige um einen Aschenbecher herum, andere einfach so, mit dem ICHBINNURZUFÄLLIGHIER-Nlick. Bebrillte Checker, Studenten mit Aktenköfferchen, bekiffte Wenigerchecker mit Fransenpony, dreivier Sprittis, die dringend Geld brauchen, und viele viele mittelalte Hausfrauen.

Die Tür geht auf. SO, ALLE MAL REINKOMMEN, tönt es launig und von nun an sind wir in der Hand von drei Spaßzwergen der Firma Grundy TV, zwei Männer, eine Frau, keiner von ihnen größer als Einssechzig, die als Bonsai-Zerberusse vor der Eingangstür zum Tagungssaal sitzen und jedem von uns ein Klemmbrett in die Hand drücken. 80 Leute schlängeln sich in den Saal, man nimmt Platz und hört zu. Man trägt seinen Namen und seine Adresse auf seinen Personalstammbogen ein. Auf dem zweiten Formular sind senkrecht nach unten die Zahlen von 1-25 geschrieben und jeweils rechts daneben die Möglichkeiten A, B, C oder D. Es werden nun in halsbrecherischer Geschwindigkeit 25 Fragen verlesen, Multiple Choice, je eine Antwort ist richtig, und die muss man mit seinem Kuli einkreisen. In einer Ecke des Raumes ist auch eine Kamera aufgebaut, aber die ist für später, lernen wir.

Ich bin ja sowieso nur zum Spaß hier, als Chronist quasi, mache mir also auch ganz schnell ganz viel Notizen. Zum Beispiel schreibe ich auf, dass die Mittzwanzigerin aus dem Casting-Team, die die von ihrem Kollegen verlesenen Fragen zusätzlich nochmal auf einem Pappschild hochhält, erstens ein außergewöhnlich rares Nada Surf-T-Shirt trägt und zweitesn darunter superwunderbare Hupen hat, nicht zu groß, nicht zu klein, korrekter Prangwinkel, alles knuspi und HUP HUP! Schreibe des weiteren auf, dass der Kaffee hier sensationell schelecht schmeckt. Oder dass die Fragen, die uns hier gestellt werden, selten dämlich sind. Beispiel: Was ist Penicillin? Ein Antibiotikum, eine Währung, ein Porzellan oder eine Tierart?. Schlafwandlerisch beantworte ich alle Fragen, klar ich habe sowieso alles richtig. Dann ist Abgabe. Jeder muss seinen Antwortzettel in seinen Personalbogen reinfalten und abgeben. Dann alle nochmal raus vor die Tür, das Castingteam wird nun über Schablonen eine Blitzauswertung des Tests machen. Pause.

Komme mit einer grauumrandeten Mittfünfzigerin ins Gespräch, nägelkauend und kettenrauchend steht sie da, sie braucht ganz dringend Geld, was ich denn mit den 1000 Euro extra machen würde. Erzähle meinen Plan mit dem Kinderheim. Sie weint vor Rührung. Dann erzählt sie: Sie würde ein Jahr lang die KFZ-Haftpflicht für ihren Fiat Polo davon bezahlen. Aha. Sie drückt mir die Daumen, ich ihr auch.

Bingbang! Alle wieder rein. Wir erfahren nun vom Chefcaster, die besten 5 dürfen bleiben und werden dann vor der Kamera ein bisschen genauer befragt. Der Rest muss leider nach Hause gehen. Und schon werden die 5 Namen verlesen. Meiner ist nicht dabei.

Hä?

Verstehe ich nicht.

Stelle fest, ich bin gekränkt. Schnippe ärgerlich meinen Notizzettel (Geile Hupen, sensationell schlechter Kaffee, blöde Fragen) in meine Ledertasche und verlasse mit 75 anderen in überwiegend geduckter Haltung den Ort. Die graue Frau weint, ich sehe es, sie geht einige Schritte vor mir raus und entert die Trambahn nach Hohenschönhausen, das ist natürlich schon bitter.

Ich hingegen, ich merke erst zu Hause, dass ich einen folgenschweren Fehler gemacht habe. Der Antwortbogen ist noch in meiner Aktentasche. Über meinen Notizzettel (Geile Hupen, sensationell schlechter Kaffee, blöde Fragen), über diesen Zettel lachen jetzt drei kleine Menschen der Firma Grundy TV. Vielleicht hängt dieser Zettel jetzt sogar an irgendeiner lustigen Pinnwand. Man steckt nicht drin.