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Ode an Karstadt

 

Ich mag die Karstadt-Filiale in der Turmstraße. Sie ist nicht weit von meinem derzeitigen Lieblingsarbeitgeber entfernt, und man erhält dort meistens so ziemlich alles. Wenn mir also während der Schicht siedendheiß einfällt, dass ich noch ein Klemmbrett und 50 Gramm Stecknadeln brauche, genügt die Überquerung der gefährlichen Turm- und Stromstraßenkreuzung, schon bin ich da und kann mich mit solchen und ähnlichen Essentials eindecken.

Auch ist – wohl auch dem übel beleumundeten Moabiter Umfeld bzw. der vorherrschenden mangelnden Kaufkraft geschuldet – dieses Karstadt noch so richtig warenhausmäßig. Es ist keine durchgestylte Glitzermeile, kein Konsumtempel, kein „Einkaufserlebnis“. Man geht dort nicht „shoppen“. Man macht dort Besorgungen. Karstadt-Turmstraße, das sind Kugelschreiberminen, lange Unterwäsche, Dosenöffner und Verlängerungskabel. Vollkommen unsexy, aber auch völlig unverzichtbar.

Auch das Personal weist eine angenehme Schrulligkeit auf. Besonders lohnenswert ist es, in der Haushaltswarenabteilung, an die sich das Tierfutterregal anschließt, hinter der Farben, Lacke, Klebstoffe und Autozubehör aufgereiht sind, nach Fahrradöl zu suchen bzw. zu fragen. Ein Mittfünfziger im rotkarierten Flanellhemd, mit krauser Lockenpracht und beeindruckender Warze war gerade damit beschäftigt, Säcke mit Blumenerde – auch die bekommt man interessanterweise dort – ins Regal zu wuchten. Das einzig ölartige, was ich bis da gefunden hatte, war eine Kombination aus Feinöl, Rostlöser und Korrosionsschutz, das Fläschchen für 3,49 €. Folglich frug ich das Flanellhemd, ob auch irgendwo richtiges Fahrradöl stünde.

„Aaach, die Leute ölen immer so viel! Was wollen Sie denn damit ölen?“ sprach der Verkäufer. „Die Kette. Sie quietscht.“, gab ich eine Fahrrad-Schadensanalyse. „Ölen, ölen, dabei verklebt doch alles, und hinterher wundert man sich dann über die eingesauten Hosen. Nehmen Sie doch erst einmal einen Lappen und machen Sie die Kette sauber.“ – „Habe ich schon, quietscht immer noch.“ – „Na, das Zeug da würde ich dann aber nicht nehmen. Das ist nur, um festsitzende Schrauben zu lösen, wenn Ihnen der Auspuff abgefallen ist oder so. Das zerfrisst auf Dauer auch das Material wissen Sie?“ (Wusste ich nicht. Und was hatte der Auspuff damit zu tun?) „Haben Sie denn kein Emmohess-Spray?“ Ratloser Blick meinerseits. „Na dann kommse mal mit. Das hieß früher Waffenöl“, raunte mir der Verkäufer verschwörerisch zu. „Oh, oh, oh, das ist ja auch schon wieder fast alle, da müssen wir ja mal wieder nachbestellen“, stellte mein Fachberater fest, als er in einem in der Tat recht leeren Regalfach nach einer der letzten Dosen des Wundermittels fischte. „Hier, das hilft gegen alles, da können Sie auch die Mechanik und die Bremsen mit behandeln. Das verwenden auch die Laubenpieper, für Scharniere und so etwas.“

Das war ja nun wirklich eine aussagekräftige Referenz. Ich merkte: Dieser Mann sprach aus Erfahrung. Eigenerfahrung. Ich sah ihn vor mir, wie er auf seinem Schrebergartengrundstück in Spandau die kreischende Tür des Plumpsklos mit MoS-Spray behandelte und hinterher dann in vollkommener Lautlosigkeit das Örtchen aufsuchen konnte. Ja, dieses Mittel musste es sein. Ich bedankte mich, ging zur Kasse, zum Ausgang und zum draußen wartenden Fahrrad, das ich sofort mit der Tinktur behandelte. Der Wind verteilte das Spray gleichmäßig über Kette, Rahmen und Felgen. In der Tat: Die Kette quietscht jetzt nicht mehr. Dafür die Bremse.