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Typologie der Berliner Busfahrer

 

Mit diesem Eintrag möchte ich mich als mehr oder weniger regelmäßiger Autor vorstellen.

Wer in Berlin lebt und aus finanziellen, ideologischen, gesundheitlichen oder sonstigen Gründen kein Auto fährt, wird früher oder später mit der BVG Bekanntschaft machen. Nun ist es mit U- und S-Bahnen so, dass üblicherweise kein Kontakt zum Fahrer besteht. Ganz anders hingegen beim Bus; nicht selten entwickelt sich zwischen Fahrgast und Fahrer eine Art Hassliebe, denn der eine kann ohne den anderen nicht. Womöglich hilft bei der Einschätzung, wie sich zu verhalten sey, eine kleine Typologie der Busfahrer. Et voilà!

1. Der Neuling
Sagt alle Haltestellen klar und deutlich per Mikrofon an. Begrüßt alle Fahrgäste mündlich der Tageszeit entsprechend. Fährt ängstlich und hält übermäßigen Abstand nach allen Seiten. Überholt nie, weil er Angst hat nicht rechtzeitig vor der nächsten Haltestelle wieder auf die rechte Spur zu kommen. Ehefrau fährt inkognito mit.

2. Der Penible
Bleibt an Haltestellen länger stehen, wenn er merkt, dass er dem Fahrplan voraus ist. Fährt erst weiter, wenn Uhrzeit und Abfahrtszeit der Haltestelle sekundengenau übereinstimmen. Wird äußerst unruhig wenn er merkt, dass er dem Fahrplan hinterher ist, begeht aber trotzdem keine Geschwindigkeitsüberschreitung. Versucht so wenig als möglich zu bremsen und drosselt das Tempo bereits einen Kilometer vor eine roten Ampel. Bekommt geräuschlosen Orgasmus, wenn die Ampel dann kurz vor seinem Eintreffen auf Rot/Gelb schaltet und er durchstarten kann. Verbraucht sehr wenig Material (Diesel, Reifenabrieb). Gewerkschaftsmitglied.

3. Die zynische Drecksau
War im vorherigen Leben Unteroffizier, nikotinsüchtig, optisch der Typ „Otto Sander“. Hager, helle Haut, rote kurze und doch strähnige Haare. Fährt los, auch bzw. erst recht wenn er sieht, dass noch Menschen auf den Bus zulaufen. Fährt abwechselnd Vollgas oder Vollbremsung. Versucht mutwillig durch Fahrstil Fahrgäste zu Fall zu bringen. Hält gerne an Haltestellen genau so an, dass die Fahrplanhalterung der Haltestelle den geometrischen Mittelpunkt der Vordertüren des Busses bildet und man sich am Fahrplan vorbeiquetschen muss, um in das Innere des Busses zu gelangen. Grüßt nie. Weigert sich anderes Geld als abgezählt zurechtgelegtes zu nehmen, obwohl er in der rechten Hemdentasche zahlreiche 5-Euro-Scheine privat sammelt. Raucht, wenn keine Fahrgäste im Bus sind. Erteilt keine Auskünfte.

4. Der Schelm
Launige Ansage. Launige Kommentare bei der Fahrscheinaus- und Wechselgeldrückgabe. Motivkrawatte. Trinkt mittags auch schon mal ein Bierchen. Geliebte fährt mit und unterhält sich mit ihm während der Fahrt.

5. Der Lockere
War mal LKW-Fahrer. Hat alles im Griff. Haut mit voller Wucht gegen das Geldrückgabedingsbums, wenn es klemmt. Schwimmt mit dem Verkehr. Überholt, wechselt häufig die Spur, bleibt dabei aber stets effizient. Fährt im Sommer mit offener Tür, um Frischluft reinzulassen. Lässt Leute ein- und aussteigen, wo sie möchten. Fährt geschickt. Steigt auch mal bei einer längerfristig roten Ampel aus und kauft beim Gemüsetürken eine schnelle Melone. Frau UND Geliebte fahren mit, beide wissen nicht voneinander, verständigt sich mit beiden per unterschiedlichen Handzeichen. Verschickt zusätzlich während der Fahrt SMS an Zweitgeliebte. Hat entweder Glatze oder Vollmatte mit Schnurrbart. Flucht nie.

6. Der Verkehrs-Erzieher
Leptosom. Macht bellend laute Ansagen, dass die Menschen nach hinten durchrücken sollen. Bleibt hinter Autos, die die Busspur blockieren, rigoros stehen und drischt mit beiden Händen mindestens 20 Sekunden lang auf die Hupe. Öffnet auch mal an roter Ampel Tür oder Fenster, um Autofahrer oder Radfahrer, die im Unrecht sind, zu belehren bzw. verwarnen. Stets im Recht.

7. Der Stoiker
Vormals Reisebusfahrer. Pykniker. Hört Radio aus dem eigens mitgebrachten, batteriebetriebenen Kofferradio, lässt alle rein, dödelt gemütlich daher, Fahrplan scheißegal, et kütt wie et kütt und et hät noch ewwer joht jejange. Fährt im Schlaf. Hat manchmal auch kleine 12V-Kaffeemaschine an Bord. Lässt Leute auch schon mal umsonst mitfahren, wenn er deren 50-Euro-Scheine nicht wechseln kann und verteidigt sie vor Fahrscheinkontrolleuren. Würde sogar TKKG- oder 5 Freunde – Cassetten einlegen, wenn es ein Cassettendeck gäbe und man ihn darum bäte.

8. Der Demenzkranke
Seit 30 Jahren im Dienst der BVG, vorher vermutlich StaSi. Verpennt schon mal eine Haltestelle. Muss gelegentlich geweckt werden, Sekundenschlaf. Druckt falsche Fahrscheine, signifikant hohe Stornoquote, Kasse stimmt oft am Ende des Tages nicht. Führt leise Selbstgespräche oder schimpft halblaut. Macht regelmäßig kleine Blechschäden. Unkündbar.

9. Die Busfahrerin
Blondgefärbte, brilletragende Enddreißigerin. Einzige Mitarbeiterin, die die BVG-farbenen Blusen inklusive Halstuch trägt, hebt natürlich jovial bei entgegenkommenden Kollegen die Hand zu Gruß, weiß genau, dass alle wissen, mit wem sie wann auf welcher Linie. Ansonsten steigt sie bereitwillig aus, um Kinderwagen oder RentnerInnen ein- und auszuladen, tritt schon mal gewalttätig gegen eine klemmende Tür und hasst es, Schüler oder Touristen zu transportieren, bremst auch für Tiere. Benutzt niemals das Mikrophon, rechnet penibel ab, hat Plastikblumen am Rückspiegel und flirtet lautstark mit der Einsatzzentrale. Eigentlich gehörte die Stelle ihrem Ex-Mann.