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Die Pinnwand des Grauens

 

Berlin ist voll von Biosupermärkten, und diese Läden sind im Grunde auch eine schöne Einrichtung. Man kann mit vergleichsweise großer Sicherheit davon ausgehen, dass die dort gekauften Waren von einer brauchbaren Qualität sind. Das Ambiente solcher Läden ist allgemein freundlich und hat nichts mit der dumpfsäuerlichen Brottrunk-Atmosphäre der alten Reformhäuser gemeinsam. Was dem Redesign der Warenwelt indes noch ein bisschen hinterherhinkt, ist das Publikum dort. Als wollten zwangsweise schlimmste Klischees bedient werden, wimmelt es auch im modernsten Biosupermarkt noch von übellaunigen Gegen-alles-Allergikern, die mit zitternden Fingern Produktzutatenliste entlangfahren, dann mit einer Mischung aus Triumphgeheul und völliger Verbitterung „Ha! Mit Gluten!“ ausstoßen, ihren Sauerkrautsaft, Staudensellerie und die Vierteltüte Buchweizen-Pops in sorgfältig abgezählten Centstücken bezahlen, um dann an der separaten Brottheke verhärmte Sauerteigsituationen zu erleben. Ich übertreibe? Iwo!

Im „Basic“ Biosupermarkt am Walther-Schreiber-Platz gibt es nämlich jetzt eine kleine, aber sehr aussagekräftige Literatureinrichtung, an der ich in einer zwanghaft zu nennenden Weise mindestens einmal die Woche vorbeigehen muss. Es handelt sich um eine Art schwarzes Brett, das zur wechselseitigen Kommunikation zwischen Biosupermarktkunden dient, aber auch als Qualitätssicherungs-Rückkanal zur Geschäftsleitung fungiert. Da hängen herrliche Sachen. Da wird sich über Dinge beschwert, die sich wirklich kein Mensch ausdenken kann, nicht in den kühnsten Träumen. Die Geschäftsleitung des Basic-Biosupermarktes jedoch toppt diese Beschwerdeschreiben mit einer absolut freundlich-professionellen Art des Antwortens, die sich auch von absurdestem Genörgel überhaupt nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Ein Kunde schreibt beispielsweise: „„Leider vermisse ich in Ihrem Sortiment noch Bio-Putzstein“. Anstatt, wie es normal wäre, zu antworten: „Hä? Putzstein? Was ist denn das für ein Tand? Können Sie nicht einfach eine Parkuhr zuquatschen“, kontert die Geschäftsleitung kühl, aber nicht unfreundlich, mit der schriftlichen, für alle einsehbaren Antwort. „Leider ist es uns noch nicht möglich, diesen Putzstein in Bio-Qualität anzubieten.“ Klug retourniert, gewissermaßen hermetisch, unzweifelhaft, in hohem Maße souverän.

Eine andere Kundin, der Schrift nach Grundschullehrerin, schreibt: „Suche Ingwer, der nicht aus China kommt. Bio, made in China? Dass ich nicht lache!!“. Die Geschäftsleitung wiederum antwortet stoisch: „Ingwer kann nur in tropischen oder subtropischen Gebieten angebaut werden. Wir versichern aber, dass die anbauenden Unternehmen sich unseren Qualitätsrichtlinien verpflichtet haben“. Eine kühle, hochprofessionelle Antwort, die in ihrer völligen Unberührbarkeit und Unemotionalität wie ein Karateschlag daherkommt. Wunderbar.

Um den nächsten Kundenbrief zu verstehen, muss kurz erwähnt werden, dass es einen großen Fahrradständer vor dem Biosupermarkt gibt. Er trägt den Aufdruck: „Schön, dass Sie mit dem Rad da sind.“ Nun zum Brief:

„Am Fahrradständer heißt es, es sei schön, dass ich mit dem Rad komme. Rabatt gibt es aber nur für Autofahrer (kostenloser Parkplatz). Die Fahrradständer könnten verbessert werden. Gute Bügel im Boden. Wie viel ist Ihnen das Ankommen der Kunden mit Fahrrad wirklich wert? Es gibt nämlich auch noch andere Bioläden…

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Der Brief scheint ganz frisch, hier konnte die Geschäftsleitung noch nicht antworten. Wenn ich die Geschäftsleitung wäre, ich würde folgendes antworten:

Lieber anonymer, feiger, Kunde. Es bedarf einiger in hohem Maße pathologischer Hirnverrenkungen, das Anbieten eines Parkplatzes als Rabatt fehlzuinterpretieren. Und was meinen Sie überhaupt mit „Gute Bügel im Boden“? Sätze ohne Prädikat werden von uns grundsätzlich nicht akzeptiert. Falls Sie mit dieser ihrer unverständlichen Sentenz zufällig meinen, wir sollten Ihnen einen fest installierten Fahrradständer anbieten, können Sie sich gehackt legen, denn die Bauordnung verbietet dies aufgrund des schmalen Gehsteigs, und Sie können gottverf*** nochmal froh sein, dass wir für Ihr minderwertiges Klapprad überhaupt eine Abschließmöglichkeit bereithalten. Sie fragen: „Wie viel ist Ihnen das Ankommen der Kunden mit Fahrrad wirklich wert?“ Wir sagen es Ihnen ganz offen: Nichts. Sie können uns nämlich völlig gestohlen bleiben, weil Sie noch nicht mal Geld für ein Auto haben, dementsprechend wenig einkaufen und uns dann noch unsere kostbare Zeit mit Ihrem dummdreisten Genörgel stehlen. Ach, wir sagen’s ehrlich, Autofahrer sind uns 20x lieber, sie haben erstens ein schlechtes Gewissens und zweitens einen großen Kofferraum. Selbst ein Kleinwagenfahrer macht im Vergleich zu Ihnen einen achtfachen Umsatz, und daher hegen und umgarnen wir jeden einzelnen Autofahrer und wenn uns die bereits erwähnte GOTTVERF***** Bauordnung es nicht verböte, würden wir glatt noch eine Tiefgarage anbauen, noch lieber sogar einen Drive-in. Falls Sie mit Ihrer abschließenden, mit dunkel-raunenden „Punktpunktpunkt“ garnierten Mitteilung, „es gibt auch noch andere Bioläden“ ausdrücken wollen, dass Sie andere Bioläden dem unsrigen künftig vorziehen, so rufen wir Ihnen aufmunternd zu: „Tun Sie das! Verpissen Sie sich, Sie sind frei! Gehen Sie anderen auf den Sack, wir möchten Sie eh jedesmal aus dem Laden kärchern, wenn wir Sie mit Ihren missratenen, schielenden Kindern, die sämtliche Waren unnötigerweise mit ihren Klebefingern anpacken, ohne sie zu kaufen, durch den Laden stolpern sehen. Tschö mit ö.