Es gibt in Berlin Straßen, Kreuzungen, Häuser, an denen die Seuche klebt. Was man dort auch unternimmt, es geht schief. Wohnt man in der Nähe so eines unguten Orts, dann möchte man schon gelegentlich verzweifeln. Nehmen wir im ereignislosen Berlin-Friedenau doch einfach mal die Saarstraße Ecke Dickhardtstraße. An dieser Ecke versucht ein strubbeliges Frührentnerpaar nach dem anderen aufs Hartnäckigste, eine Gastwirtschaft zu etablieren. Und es läuft immer ganz genau gleich ab.
Erst werden von innen die Fensterscheiben mit Zeitungen ausgeklebt. Drinnen wird eifrig renoviert. Menschen im Gründertaumel sitzen da und weißen Wände, schrauben an Zapfanlagen, ein Mann von der Firma Merkur kommt vorbei und hängt Spielautomaten auf. Brauereigestühl wird in die Schankstube geladen. Draußen ein A4-Zettel: „Hier eröffnet am 1. Januar Harry’s Pilsstube“. Dieser Zettel hängt bis Mitte Januar da, dann wird er abgerissen. Zu guter Letzt wird ein blaugelbes beleuchtetes Emblem „Harry’s Pilsstube“ draußen aufgehängt. Es wurde von der Brauerei „Engelhard Charlottenburger Pilsener“ gesponsort.
Dann geht es los. Jeden Samstag und jeden Sonntag watschele ich an jener Straßenecke vorbei. Hinter dem Tresen steht mit unsicherem Gesicht ein Frührentnerehepaar. Am Tresen sitzen zwei bis drei Freunde des Ehepaars. „Kommt doch die ersten Tage mal öfter vorbei, damit es nicht so leer aussieht“, wird das Ehepaar zu seinen Freunden gesagt haben. Eine Woche später sitzen die Freunde nicht mehr da. Das Ehepaar wird angespannt. Das Bier wird unten in den Fässern schal. Ein Teufelskreis. Die Brauerei fängt an zu mucken. Das Biersoll muss abgenommen werden.
Erste Verzweiflungstaten werden begangen. Rechtschreibfehlerplakate werden mit Farbtintenstrahldruckern gedruckt und ins Fenster gehängt: „Sonntags Frühstücksbuffett von 6-11 Uhr. Frühstück und Kaffee satt für 6 €“. Es nützt nichts. Denn Sonntags schiebe ich an Harrys Pilsstube vorbei und niemand sitzt drin. Unter einer kleinen Vitrine biegen sich Salami- und Käsescheiben verzweifelt nach oben, als würden sie die Schultern zucken und sagen „Ich kann doch auch nichts dafür“.
Nächste Verzweiflungstat: Anschaffung eines sehr teuren Dartspielautomaten. Bekleben der Eingangstür mit einem mitgelieferten bunten Plakat: „Neu! LÖWEN-TURNIER-DART“. Niemand will Dart spielen. Nicht mal in Friedenau. Die Gesichter des Pärchens werden verbittert.
Nächste Verzweiflungstat: Sonderaktionen. Eisbeinessen, Gänsekeulenessen, Martinsgansessen. Niemand kommt. Wenn einer kommt, dann nur zum Zigaretten ziehen oder Geld wechseln. Oder fragen, ob man ein Plakat aufhängen dürfe.
Nächste Verzweiflungstat: Anschaffung eines Großbildfernsehers und Premiere-Decoders. Aufstellen einer Tafel vor der Gaststätte: „Alle Bundesligaspiele, bei gemütlichem Bier“. Niemand will alleine in einer leeren Kneipe Bundesliga kucken. Es nützt nichts. Es ist traurig. Sie machen alles falsch.
Sie halten drei Monate durch. Drei harte Monate. Dann ein letztes Aufbäumen, nämlich Lügen: Schräg werden Aufkleber auf die Scheiben gepappt. „NEUE BEWIRTSCHAFTUNG!“
Hilft auch nichts.
Nach Harry’s Pilsstube kommt die „Florya-Bar“ kommt das „Frühstückscafé Geheimtip“ kommt das „Warsteiner Treff“. Sie werden es nie verstehen.