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Weihnachtsoratorium – perfekt

 

Es gibt ja Stücke der klassischen Musik, die die imaginären Charts besetzen, die man daher oft nicht mehr mit Genuss hören kann, weil man sie sich schlicht und einfach totgehört hat. Dazu zählen die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi, die „Toccata und Fuge d-moll“ von J.S. Bach, aber auch Smetanas „Moldau“ – und eben das Weihnachtsoratorium, das pünktlich zum 1. Advent wieder ausgegraben wird und die deutsche Wohnstube beschallt. Dem zum Trotze waren wir heute in der – ausverkauften – Kirche zum guten Hirten an der Bundesallee, wo die Friedenauer Kantorei unter der Leitung von Maria Jürgensen heute um 18 Uhr die Tage 1 und 4-6 sang und spielte.

Was dort geboten wurde, war schlicht und einfach grandios. Ein bis in die Haarspitzen synchrones, perfekt eingespieltes und hochspielfreudiges Orchester, ein stimmgewaltiger und gut besetzter Chor, fantastische Solisten und eine Dirigentin, die all dies traumhaft sicher und elanvoll beisammen hielt. Kantorin Maria Jürgensen gab ein durchaus sportliches Tempo vor, das aber zu keiner Zeit die Feierlichkeit des Werkes schmälerte – und vom präzise arbeitenden Orchester dankbar angenommen wurde. Satt schmelzende Oboen, gloriose Trompeten, sichere Streicher, geradezu knackiger Basso Continuo, und all dies mit guter Laune und echter Versenkung ins Werk vorgetragen. Der Chor vielschichtig, sauber abgestimmt, in allen Lagen voll und kräftig, aber durchaus dynamisch. Bei den Solisten besonders hervorzuheben der Bass Tobias Berndt, der einem vor allem im vierten Tag beim Immanuel-Rezitativ nachgerade Tränen in die eigenen Augen sang.

Spätestens beim geradezu rauschhaft triumphierenden Schlusschoral des sechsten Tages war klar, dass hier soeben ein kleines Wunder geschehen war, nämlich eine beglückende, von vorne bis hinten perfekte Aufführung. Dass man mit dieser Meinung nicht alleine war, umso schöner: der Applaus war donnernd, ewig lang und mündete teilweise in standing ovations. Bravo.

Maria Jürgensen ist übrigens am 31. Dezember um 20 Uhr ebenda noch einmal an der Orgel zu hören, mit Werken von Bruhns, J.S. Bach, Vierne und einigen anderen.