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Labern mit Lab.

 

Im Biosupermarkt. Da stehe ich an der Käsetheke und will meine tägliche Ration Parmeggiano, Pecorino Sardo und blutjungen Gouda abholen. Aber vor dieses Einkaufserlebnis hat der liebe Gott eine Frau Anfang vierzig in zweiter Reihe geparkt. Sie trägt Entenstiefel, langen Kordrock, eine unterarmdicke Strickstrumpfhose, Medienschaffendenbrille (klein, eckig, Hornimitat), einen schwarzen, langen Zopf, sowie eine dieser farbenfrohen Kinder-Indio-Wintermützen, also mit so Klappen an den Ohren, die man unten um den Hals rum festbinden kann. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt gut beschrieben habe.

Jedenfalls hat sie aus der Kühltheke einen vorgeschnittenen, abgepackten Käse geangelt, beugt sich gramumwölkt über das Etikett und schaut nach, was für böse, böse Sachen in dem Käse – außer dem Käse selbst – noch drin sind. Und da hat sie was gefunden, was ihr nicht gefällt.

Obwohl ich also jetzt an der Reihe wäre und schon eingeatmet habe, um gleich den schönen Satz, „ein markiges Stück Parmeggiano bitte“ auszusprechen, schneidet sie mir das Wort ab und ich kucke genau so, wie Loriot in dem einen Sketch, in dem er andauernd versucht, in eine Kartoffel zu beißen, aber immer wenn es tun will kommt ein Kellner und fragt ihn aufmunternd. „Schmeckt’s?“

Sie sagt zu meiner Käseverkäuferin: „WAS BITTESCHÖN IST DENN LAB?“
Käseverkäuferin: „Das ist ein Bestandteil von dem Käse.“
Frau: „Ist das ein Zusatzstoff?“
Käseverkäuferin: „Nein, das kann man so nicht sagen.“
Frau: „Kann ich diesen Käse auch ohne Lab haben?“
Käseverkäuferin: „Nein, den gibt es nur mit Lab“.
Frau: „Und wenn ich aber kein Lab in dem Käse möchte? Ich möchte reinen Käse.“
Käseverkäuferin: „Dann müssen Sie eine andere Käsesorte aussuchen. Zum Beispiel Feta.“
Frau: „Ich will aber keinen Feta“
Käseverkäuferin: „Dann müssen Sie entweder DOCH diesen Käse nehmen oder versuchen in Berlin ein Geschäft zu finden, was diesen Käse OHNE Lab anbietet. Wird aber schwierig.“
Frau: „Was ist denn überhaupt LAB“?
Käseverkäuferin: „Soll ich Ihnen das jetzt wirklich noch erklären“.
Frau: „JA.“
Käseverkäuferin macht Klospülungsgeräusche und will sich gerade aufmachen zu einer Kollegin, um zu fragen, was Lab ist, da beginne ich einen Monolog, schreiend:

„LAB, (AUCH LAAB, KÄLBERLAB, KÄSEMAGEN), IST EIN GEMISCH AUS ENZYMEN (CHYMOSIN UND PEPSIN) UND WIRD ZUM DICKLEGEN DER MILCH BEI DER HERSTELLUNG VON KÄSE VERWENDET. LAB WIRD AUS DEM LABMAGEN JUNGER WIEDERKÄUER IM MILCHTRINKENDEN ALTER GEWONNEN UND HAT DIE EIGENSCHAFT, DAS MILCHEIWEIß KASEIN SO ZU SPALTEN, DASS DIE MILCH EINDICKT, OHNE SAUER ZU WERDEN, DAHER WERDEN MIT LAB ERZEUGTE KÄSE AUCH ALS SÜßMILCHKÄSE BEZEICHNET. DAS LAB WAR SCHON IM ALTERTUM BEKANNT, UND ARISTOTELES RÜHMT DAS LAB VON JUNGEN HIRSCHEN ODER REHEN ALS BESONDERS WIRKSAM.
DAS IM LAB ENTHALTENE FERMENT BRINGT SCHON IN GERINGER DOSIS SEHR GROßE MENGEN (1:6000-600.000 TEILE) MILCH ZUR GERINNUNG. ES ÄUßERT DIE STÄRKSTE WIRKUNG BEI 41-42 °C, BÜßT SEINE KRAFT BEI HÖHERER TEMPERATUR DAGEGEN SEHR SCHNELL EIN. SCHWACH SAURE REAKTION BEGÜNSTIGT DIE LABWIRKUNG, ALKALISCHE DAGEGEN UND GEWISSE SALZE HEBEN SIE AUF. DIE ZUR GERINNUNG FÜHRENDE WIRKUNG DES LABS IST AUF DIE ABSPALTUNG EINES TEILS (GLYCOMAKROPEPTID) DER KASEINMIZELLE (GENAUER DES Κ-KASEIN) DURCH DAS CHYMOSIN ZURÜCKZUFÜHREN. DADURCH VERLIEREN DIE MIZELLEN IHRE ‚SCHUTZHÜLLE‘ UND ES ERFOLGT EINE AGGREGATION DER MIZELLEN, WAS SCHLIEßLICH ZUR GELBILDUNG FÜHRT. DAS GEL BESTEHT NACH SEINER AUSBILDUNG IM WESENTLICHEN AUS EINER FESTEN PHASE, DEM PROTEINNETZWERK, SOWIE DER DARIN EINGESCHLOSSENEN SÜßMOLKE. DAS LABFERMENT WIRKT DABEI NUR ALS KATALYSATOR, WIRD BEI DER SPALTREAKTION ALSO NICHT VERBRAUCHT. DAHER REICHEN SCHON SEHR GERINGE MENGEN ZUM DICKLEGEN DER MILCH AUS. EINE GRÖßERE MENGE AN LAB UND ERHÖHTE TEMPERATUREN VERGRÖßERN DIE REAKTIONSGESCHWINDIGKEIT UND VERÄNDERT SO DIE STRUKTUR DES SICH BILDENDEN GELS. DIE REAKTION KOMMT NACH EINIGER ZEIT ZUM ERLIEGEN, DA DAS SUBSTRAT VERBRAUCHT WIRD (ENZYM-REAKTION). ABGEBROCHEN WERDEN KANN DIE REAKTION NUR DURCH INAKTIVIERUNG DES ENZYMS, Z.B. DURCH HITZE, SÄURE, LAUGE ETC. DIES IST ABER BEI DER KÄSEPRODUKTION NICHT NÖTIG UND WÜRDE ZUDEM ZU BETRÄCHTLICHEN VERÄNDERUNGEN DES DARAUS ENTSTEHENDEN KÄSES FÜHREN. NACH DEM SCHNEIDEN DES GELS IN WÜRFEL (–>KÄSEBRUCH) TRITT WÄHREND DER SYNÄRESE EIN TEIL DER SÜßMOLKE AUS DEM GELNETZWERK AUS. ÜBER DIE TEMPERATUR, GRÖßE DER BRUCHWÜRFEL/BRUCHKÖRNER SOWIE DIE DAUER DER SYNÄRESE LÄßT SICH DIE TROCKENMASSE DES ENTSTEHENDEN KÄSES STEUERN. MIT NIEDRIGER TEMPERATUR UND GROßEN BRUCHKÖRNERN ERZIELT MAN WEICHKÄSE, MIT HOHER TEMPERATUR UND KLEINEN BRUCHKÖRNERN HARTKÄSE. IN DER PRAXIS WIRD DAS LAB BEI DER KÄSEBEREITUNG MEIST IN TEMPERATUREN ZWISCHEN 25 UND 40 °C ANGEWANDT.

REICHT IHNEN DAS????????

Es ist still geworden hinein. In die Stille hinein sage ich vorsichtig: „ein markiges Stück Parmeggiano bitte“

P.S. Danke an die wikipedia.