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„Bürgerbefragungen wären gut“

 

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber widerspricht seinem Parteikollegen und EU-Kritiker Peter Gauweiler – aber auch er fordert mehr Legitimität für europäische Entscheidungen

Am 10. und 11. Februar verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit des EU-Lissabon-Vertrag es mit dem Grundgesetz. Einer der Beschwerdeführer ist der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Er macht geltend, mit dem Reformvertrag erhalte die Europäische Union eine Staatlichkeit, die ihr wegen ihrer tiefgreifenden Demokratiedefizite nicht zustehe.

Die Tatsache, dass die Richter in Karlsruhe zwei Tage für die mündliche Verhandlung anberaumt haben, spricht dafür, dass sie erheblichen Fragebedarf sehen.

Tatsächlich würden mit dem Lissabon-Vertrag solche Politikbereiche einer supranationalen Gesetzgebungsinstanz unterworfen, die traditionell zu den vornehmsten Souveränitätsreserven der Nationalstaaten gehören, etwa die Justiz- und Innenpolitik.

Aber genau das muss auch passieren, kontert jetzt Gauweilers Parteikollege Manfred Weber. Die staatsrechtlichen Diskussionen, die manche Gemüter in Karlsruhe bewegten, sagt er, seien von gestern.

Weber, 36, ist der innenpolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Der Ausschuss des Brüsseler Plenums, vor dessen Türen ich ihn treffe, diskutiert gerade über die Modalitäten der In- und Ausreise in den Schengenraum.

Wie, frage ich Manfred Weber, ist es seiner Ansicht nach mit dem Demokratieprinzip zu vereinbaren, dass Brüssel künftig Gesetze von bürgerrechtlicher Bedeutung erlassen können soll, die unter Umständen niemals vom Bundestag noch von der Bundesregierung gewollt waren?

Also, da muss man jetzt einen Schritt zurückgehen, antwortet Weber. Der Bundestag hat den Lissabon-Vertrag schließlich ratifiziert. Damit hat er sich entschieden, bestimmte Entscheidungen nach Brüssel abzugeben. Und das ist auch richtig so. Viele Herausforderungen, die wir heute haben, sind – gerade in der Verbrechens- und Terrorbekämpfung – nicht mehr auf nationaler Ebene lösbar.

Aber führt diese Verlagerung nicht dazu, dass immer mehr wichtige Angelegenheiten von der deutschen Öffentlichkeit gar nicht mehr diskutiert werden? Vom biometrischen Pass zum Beispiel, der als Richtlinie in Brüssel verabschiedet wurde, fühlte sich sowohl die Bevölkerung wie auch der Bundestag überrumpelt.

Das ist leider Realität. Zugestimmt hat jedoch die Bundesregierung. Deren Verhalten im Ministerrat muss unbedingt in der deutschen Öffentlichkeit und im Bundestag diskutiert werden. Aber es gibt auch positive Beispiele für europäische Initiativen. Wie zum Beispiel wollen Sie grenzüberschreitende Kinderpornographie bekämpfen? Wie wollen Sie den Datenmissbrauch bei Google beenden, wo ohne Ihr Wissen Datenprofile von Ihnen erstellt werden? Anderes Beispiel: Wie sollen Verbrecher bei offenen Grenzen wirksam verfolgt werden, wenn wir nicht europäisch handeln und mit anderen Polizei-Behörden Daten austauschen? Außerdem: Der Bundestag könnte jederzeit Debatten über europäische Themen führen. Dass das bisher viel zu selten passiert, liegt nicht in der Verantwortung von Brüsseler Politikern.

Weber ist ein Pragmatiker. Was europäisch ist, muss europäisch gestaltet werden, lautet seine Leitformel während unseres Gespräches. Und seine Hauptsorge: Wie lösen wir Probleme? Verbrechensbekämpfung, Nahrungsmittelsicherheit, Konjunkturprogramme – das seien doch alles supranationale, keine nationalen Angelegenheiten.

Webers Argumente leuchten ein. Aber sie werfen auch eine größere Frage auf. Nämlich: Entfernt sich die Politik mit diesem Steigflug in die internationale Sphäre nicht in einer Weise vom Bürger, die dieser als Entmachtung empfindet? Wen, mit anderen Worten, kann der Wähler im multilateralen Institutionengefüge von Brüssel denn für bestimmte Entscheidungen verantwortlich machen? Wen kann er mit seiner Stimme belohnen, wen bestrafen?

Sicher, sagt Weber, das Problem ist: Wir haben in Brüssel kaum Gesichter. Und Politik lebt von Gesichtern. Wenn wir die europäischen Themen transparent machen wollen, müssen wir sie vor allem in Deutschland diskutieren, in Berlin. Und das Europäische Parlament braucht mehr Gewicht.

Aber was nützt eine Debatte im Bundestag letztlich dem Bürger, wenn die deutsche Position im Brüsseler Ratsgebäude von anderen Regierungen überstimmt werden kann?

Aber das ist doch im deutschen Föderalismus auch so. Der bayerische Wähler muss doch auch damit leben, dass sein Wunsch im Bundesrat von NRW oder anderen Ländern überstimmt wird. Nichts anderes passiert auf europäischer Ebene. Der eigentliche Kompetenz-Verlierer der europäischen Integration ist der Bund.

Aber wie steht es um die Legitimität europäischer Entscheidungen? In Deutschland entscheiden immerhin noch von Deutschen gewählte Volksvertreter über Gesetze für die Wähler. In der EU entscheiden Abgeordnete aus Malta und Bulgarien und Vertreter von 26 fremden Regierungen über Gesetze für Deutschland. Im Falle von Gesetzen, die in Bürgerrechte eingreifen, ist das eine deutliche Schwächung ihrer Legitimation.

Ja. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass wir eine neue Legitimität für die EU brauchen. Die Distanz zwischen der Elite und den Bürgern wächst, und zwar auch deshalb, weil die Elite den Bürgern das europäische Projekt nicht gut genug erklärt.

Wie ließe sich das ändern?

Ich glaube, Volksabstimmungen zu EU-Themen, wie sie unser Parteivorsitzender Horst Seehofer in Wildbad Kreuth vorgeschlagen hat, sind beispielsweise eine gute Idee. Denn sie würden bei den Eliten und Politikern den Zwang auslösen, sich gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.