Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Brüsseler Massagen

 

Wie die Staatschefs der EU die Iren zu einem „Ja“ für den Lissabon-Vertrag bewegen wollen

Fast genau ein Jahr ist vergangen, seit die Iren die Stopp-Taste der Europäischen Union gedrückt haben. Am Freitag, den 13. Juni 2008, sagten 53,4 Prozent der Inselbewohner in einer Volksabstimmung „Nein“ zum Vertrag von Lissabon. In Brüssel brach daraufhin Weltuntergangsstimmung aus, denn nach Ansicht seiner Befürworter ist eben jener Vertrag der einzige Weg ist, eine EU von 27 Mitgliedsländern vor der Unregierbarkeit und also vor dem Untergang zu bewahren.

Nun ist die EU während des vergangenen Jahres zwar weder schlecht regiert worden (sie ist erfolgreich als Krisenmanager im Georgienkrieg eingesprungen, sie hat – immerhin vorerst – den Gasstreit mit Kiew und Moskau beigelegt und arbeitet gerade im Eiltempo an einer paneuropäischen Finanzmarktaufsicht) noch ist sie untergegangen, aber am laut Meinungsumfragen auch in anderen Ländern ungeliebten Lissabon-Vertrag wollen ihre Regierungen trotzdem mit aller Macht festhalten.


Im Brüsseler Ratsgebäude

Sicher, die Regierungschefs hätten ihre Zusammenkunft in Brüssel auch dazu nutzen können, um zunächst einmal darüber zu reden, ob die EU nach der dürftigen Bürgerbeteiligung an der jüngsten Europawahl womöglich in eine Legitimationskrise hineinschlittert. Zu diesem Befund war noch in der Wahlnacht der Spitzenmann der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, gelangt.

Aber diese Gelegenheit nutzten die Staatschefs schon nach dem Iren-Nein nicht, und sie verschlossen sich auch ein Jahr später erneut dieser – vielleicht viel entscheidenderen – Frage für die Zukunft der Union. Stattdessen widmeten sie sich einen ganzen Vormittag lang der Frage, mit welchen Leckerlis sie den Iren das Reformwerk doch noch schmackhaft machen können. Die „Gefechtslinie“, so hieß es aus deutschen Regierungskreisen, laute: „Maximale Wirkung für Irland und minimaler Schaden für alle anderen.“

Es sei, gab Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der abschließenden Pressekonferenz des Gipfels bekannt, nunmehr eine Lösung gefunden. Diese funktioniert, den Schlussfolgerungen des Ratstreffen gemäß, so: Um klarzustellen, „dass bestimmte Angelegenheiten, die der irischen Bevölkerung Anlass zur Sorge geben, durch dass in Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nicht berührt werden“, soll der Vertrag um rechtliche bindende Interpretationen ergänzt werden.

In diesen Ergänzungen (* Wortlaut am Ende dieses Beitrags) soll festgehalten werden, dass der Vertrag die Bestimmungen der irischen Verfassung über Abtreibung, Familie, seine Steuerhoheit sowie seine tradiotionelle sicherheitspolitische Neutralität gewahrt bleiben. Mit anderen Worten: Brüssel darf keine Iren töten, ihnen kein Geld abnehmen und sie nicht in den Krieg schicken.

Jetzt bleibt den Staatschefs bloß zu wünschen, dass es wirklich diese Sorgen waren, die auf der Insel zur Ablehnung des Vertrages geführt haben. Dass dem so sei, hat der irische Ministerpräsident Brian Cowen seinen europäischen Amtskollegen versichert. Fraglich bloß, ob der Mann sich von den richtigen Meinungsforschern hat beraten lassen. Denn wer sich in Irland zum Lissabon-Vertrag und der Stimmung gegen ihn umhörte, bekam – anekdotisch freilich – andere Auskünfte.

Diejenige zum Beispiel, dass die Bürger nicht gewillt waren, einen Vertrag zu unterschreiben, von dem sie auch nach ausführlichen Informationskampagnen nicht glaubten, ihn verstanden zu haben. Oder die, dass sie mit der grundlegenden Richtung der EU-Politik, einer „ever closer union“, einer immer tieferen Union, nicht einverstanden waren. Und auch mit der Tatsache waren viele nicht einverstanden, dass die Grundsätze der europäischen Demokratie offenbar nicht gelten sollen, wenn den Staatsführern das Ergebnis nicht passt.

Mit diesem Argument jedenfalls gehen bis heute die Gegner des Lissabon-Vertrages auf der Insel hausieren. Immerhin, argumentieren sie, hätten in Irland mehr Wähler gegen den Vertrag gestimmt als Leute in den USA für Barack Obama (52,9 Prozent). Warum werde das eine weniger respektiert als das andere?

„Die Gründe, warum die Menschen Nein zum Lissabon-Vertrag gesagt haben, wurden nicht addressiert“, kommentiert Patricia McKenna, die Vorsitzende des irischen „People’s Movement“ die Ergebnisse des Brüsseler Gipfels. „Deshalb glaube ich auch nicht, dass die Wähler ihre Meinung ändern werden.“

Jüngere Meinungsumfragen allerdings sehen mittlerweile eine knappe Mehrheit für den Vertrag. Was die Politiker in Brüssel womöglich nicht schaffen, schafft offenbar die Wirtschaftskrise. Sie trifft Irland besonders hart und sorgt für ein stärkeres Anlehnungsbedürfnis an den Kontinent.

Die neuen rechtlichen Garantien für die Iren (keine Abtreibungen, keine EU-Steuern, kein Wehrdienst für Brüssel) sollen nun in ein Protokoll aufgenommen werden, das seinerseits dem Lissabon-Vertrag bei seiner nächsten Änderung hinzugefügt werden soll. Die steht an, wenn Kroatien der EU betritt, also vermutlich nicht vor 2011. Die dann fälligen Änderungen der Stimmengewichte im Rat müssen alle EU-Mitglieder ratifizieren. Der Vorteil: Der Lissabon-Vertrag wird ergänzt, ohne dass die Staaten, die ihn jetzt schon ratifiziert haben, dies wiederholen müssten.

Die Iren hingegen werden voraussichtlich im Oktober ein zweites Referendum abhalten. Sie müssten also erst einmal dem alten, unveränderten Lissabon-Vertrag zustimmen, um dann später einen neuen zu bekommen. Ob ihnen das gefällt?

Am Rande des Gipfels äußerte ein erfahrener Europapolitiker übrigens doch noch eine interessante Theorie über die grundsätzlich mangelnde Unterstützung des Projekts EU in der Bevölkerung.

„Was wir ja eigentlich bräuchten, um die Leute zu interessieren, wären polarisierende Meinungen. Aber wollen wir das eigentlich in der EU, Kontroversen? Eigentlich wollen wir ja immer mit einer Stimme sprechen. Und solange das gelingt, so lange die Grundfragen von Europa nicht strittig sind, wird sich auch die Wahlbeteiligung nicht erhöhen.“

Oder, könnte man hinzufügen, solange nicht, wie die etablierten Parteien nicht merken oder wahrhaben wollen, dass sich die Bevölkerung in Sachen EU schon längst polarisiert hat?

* Wortlaut der Garantien für Irland:

DECISION OF THE HEADS OF STATE OR GOVERNMENT OF THE 27 MEMBER STATES OF THE EU, MEETING WITHIN THE EUROPEAN COUNCIL, ON THE CONCERNS OF THE IRISH PEOPLE ON THE TREATY OF LISBON

The Heads of State or Government of the 27 Member States of the European Union, whose Governments are signatories of the Treaty of Lisbon,

Taking note of the outcome of the Irish referendum of 12 June 2008 on the Treaty of Lisbon and of the concerns of the Irish people identified by the Taoiseach,

Desiring to address those concerns in conformity with that Treaty,

Having regard to the Conclusions of the European Council of 11-12 December 2008,

Have agreed on the following Decision:

SECTION A

RIGHT TO LIFE, FAMILY AND EDUCATION

Nothing in the Treaty of Lisbon attributing legal status to the Charter of Fundamental Rights of the European Union, or in the provisions of that Treaty in the area of Freedom, Security and Justice affects in any way the scope and applicability of the protection of the right to life in Article 40.3.1, 40.3.2 and 40.3.3, the protection of the family in Article 41 and the protection of the rights in respect of education in Articles 42 and 44.2.4 and 44.2.5 provided by the Constitution of Ireland.

SECTION B

TAXATION

Nothing in the Treaty of Lisbon makes any change of any kind, for any Member State, to the extent or operation of the competence of the European Union in relation to taxation.

SECTION C

SECURITY AND DEFENCE

The Union’s action on the international scene is guided by the principles of democracy, the rule of law, the universality and indivisibility of human rights and fundamental freedoms, respect for human dignity, the principles of equality and solidarity, and respect for the principles of the United Nations Charter and international law.

The Union’s common security and defence policy is an integral part of the common foreign and security policy and provides the Union with an operational capacity to undertake missions outside the Union for peace-keeping, conflict prevention and strengthening international security in accordance with the principles of the United Nations Charter.

It does not prejudice the security and defence policy of each Member State, including Ireland, or the obligations of any Member State.

The Treaty of Lisbon does not affect or prejudice Ireland’s traditional policy of military neutrality.

It will be for Member States – including Ireland, acting in a spirit of solidarity and without prejudice to its traditional policy of military neutrality – to determine the nature of aid or assistance to be provided to a Member State which is the object of a terrorist attack or the victim of armed aggression on its territory.

Any decision to move to a common defence will require a unanimous decision of the European Council. It would be a matter for the Member States, including Ireland, to decide, in accordance with the provisions of the Treaty of Lisbon and with their respective constitutional requirements, whether or not to adopt a common defence.

Nothing in this Section affects or prejudices the position or policy of any other Member State on security and defence.

It is also a matter for each Member State to decide, in accordance with the provisions of the Treaty of Lisbon and any domestic legal requirements, whether to participate in permanent structured cooperation or the European Defence Agency.

The Treaty of Lisbon does not provide for the creation of a European army or for conscription to any military formation.

It does not affect the right of Ireland or any other Member State to determine the nature and volume of its defence and security expenditure and the nature of its defence capabilities.

It will be a matter for Ireland or any other Member State, to decide, in accordance with any domestic legal requirements, whether or not to participate in any military operation.