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Problemkühe

 

Gestern Mittag, Brüssel, vorm Ratsgebäude: Die Polizei ist mit Wasserwerfern angerückt und hat Stacheldrahtbarrieren über die Straße gezogen. Ich hätte mir eine Straßenecke entfernt gerne ein Sandwich gekauft. Aber ein Beamter weist mich freundlich ab. „Zu gefährlich“, sagt er und weist mit dem Daumen hinter sich. Vorm dem Ratsgebäude steigt eine dicke, schwarze Rauchsäule in den Himmel. Erregte Rufe sind zu hören.

Bauern aus ganz Europa haben Autoreifen angezündet, sie werfen Feuerwerkskörper und, wie ich später erfahre, sogar Kastanien gegen das Ratsgebäude. Drinnen tagen die EU-Agrarminister. Wegen der, wie sie jetzt heißt, Milchkrise.

Die Bauern demonstrieren für einen bizarren Zweck: Sie wollen weniger Milch produzieren. Weil sie zu wenig Geld mit der Milch verdienen. Weil es zu viel Milch gibt in Europa. Wegen der Wirtschaftskrise, sagen sie, sei der Absatz eingebrochen. 20 Cent bekämen sie in Deutschland gerade einmal für einen Liter. Der Produktionspreis betrage 32 Cent.

Warum aber produzieren die Bauern dann nicht einfach weniger Milch? Warum funktioniert das preissteuernde Prinzip von Angebot und Nachfrage auf dem Milchmarkt nicht?

Wegen, klärt mich am Abend eine agrarpolitische informierte Kollegin auf, der Kühe. „Kühe wollen gemolken werden, Krise hin oder her.“ Und gefüttert. Und gestreichelt. Man könne sie nicht einfach abschalten wie eine Sprudelmaschine.

Man kann Kühe noch nicht einmal in Kurzarbeit schicken.

„Und schlachten?“, frage ich die Kollegin nach dem zweiten Bier.

„Na ja“, sagt sie, „aber wenn die Milch-Nachfrage wieder anzieht, dann fehlen sie. Es dauert zwei Jahre, bis eine Kuh Milch gibt.“

„Und warum“, frage ich „schließen sich die Bauern nicht zusammen und fordern Mindestpreise von Aldi und Lidl? Macht die Opec doch auch.“

„Ist kartellrechtlich verboten“, weiß die Kollegin.

„Aber warum kostet die Milch in belgischen Supermärkten dann doppelt so viel wie in Deutschland? Was machen die anders?“

Die Kollegin sagt etwas von anderen Genossenschaftsstrukturen, lokalen Vertriebsmöglichkeiten, mehr Anbietern, aber das überzeugt alles irgendwie nicht.

Am Ende der Tagung versprechen die EU-Agrarminister existenzgefährdeten Bauern Hilfszahlungen von 15 000 Euro bis 2010. Außerdem wollen sie die Exportbeihilfen für Milchprodukte für den Verkauf außerhalb der EU auf 600 Millionen Euro erhöhen.

Ich bin ja immer noch kein Milchexperte, aber wenn Bauern bei normaler Milchnachfrage gerade so über die Runden kommen und bei einbrechender Nachfrage sofort ins Minus rutschen, dann, muht mich aus, wenn ich falsch liege, gibt es vielleicht doch einfach zu viele Kühe in Europa.

Oder?