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Bochum ist überall

 

Gestern abend, Neujahrsempfang in der Landesvertretung von Baden-Württemberg. Es gibt Wein vom Staatsgut, Schnaps aus einer fahrbaren Brennerei und alemannische Karnevalisten, die, verschanzt hinter alptraumhaften Holzmasken, ihre Schultern an denen junger Damen schubbern.

Aber: es gibt ernste Themen auf dem Kontinent!

„Ach, Sie belasten diesen schönen Abend aber mit schweren Fragen“, antwortet der deutsche Kommissionsmitarbeiter.
Selber schuld ist er. Wer sich einem Journalisten in der Nokia-Woche als Mitarbeiter in der Industriedirektion der EU zu erkennen gibt, muss mit einer Minute des Nachbohrens rechnen.

Also, sagt er zögerlich, seien wir doch mal ehrlich. Standortverlagerungen gibt es fast täglich in Europa. Und, wer habe sich denn aufgeregt, als DHL bekanntgab, seine Europa-Zentrale von Brüssel nach Leipzig zu verlegen? Die Unternehmen gucken eben, wo sie Beihilfen abgreifen können und treffen danach ihre Investitionsentscheidungen. Sei es in Deutschland, Belgien oder Rumänien.

Ja aber, warum subventioniert die EU überhaupt solche Unternehmenswanderschaften? Könnte sie es nicht einfach dem Wettwerb der Mitgliedsstaaten überlassen, wo sich Firmen am wohlsten fühlen?

Ja, klar, sagt der Beamte. Deswegen will Verheugen die Beihilfen ja am liebsten ganz abschaffen. Bloß, gerade Deutschland profitiert doch von den EU-Milliarden. Meinen Sie, irgendein Unternehmen würde sich noch in an einem so komplexen, teuren Standort niederlassen, wenn wir nicht mit Startgeld locken würden?

In der Tat, da ist viel Wahres dran.

Das Logistikunternehmen DHL ist dabei, seinen europäischen Luft-Hub vom Brüsseler Flughafen zum Leipzig zu verlagern. Für den Ausbau des sächsischen Aiports hat die EU bereits 2004 über 70 Millionen Euro Beihilfen genehmigt. In Brüssel gehen – je nach Schätzung – 1700 bis 4000 Arbeitsplätze verloren, in Leipzig entstehen laut DHL 3000 Jobs.

Gerade der Osten Deutschlands profitiert im europäischen Vergleich überdurchschnittlich von EU-Hilfen. Deutschland wird zwischen 2007 bis 2013 insgesamt rund 26 Milliarden Euro aus dem EU-Strukturfonds bekommen, das sind etwa 7,5 Prozent des gesamten Topfes, also etwa doppelt so viel, wie ihm bei einer streng proportionalen Verteilung an alle 27 EU-Mitglieder zustehen würde (freilich ist Deutschland auch größter Nettozahler).

Denken wir uns die EU einmal für einen Moment weg. Würde die sächsische Landesregierung, würde der Bund dann nicht mit ebensoviel Geld versuchen, seine Infrastruktur so auszubauen, dass Unternehmen die Landschaften möglichst attraktiv finden? Und: warum überhaupt speisen Berlin, Rom oder Paris Milliarden in eine umständliche Verteilungsmaschinerie in Brüssel ein, wenn sie das Geld wahrscheinlich selber viel zielgerichteter in ihre Förderregionen spritzen könnten?

Oder wäre all das den Unternehmen womöglich völlig egal?

Genau das glaubt ein Europaabgeordneter der CDU, der sich lange mit Standortpolitik beschäftigt hat. Er hält den Anreiz, den Subventionen setzen könnten, für absolut vernachlässigenswert. Aus Unternehmersicht seien andere Faktoren entscheidend für Ansiedlung oder Nichtansiedlung. Vor allem seien dies:

– Kosten und Qualität der Zulieferfirmen
– Das Lohniveau
– Das Steuerrecht
– Das Arbeitsrecht (Wird der Unternehmer die Leute auch wieder los, wenn er sie nicht mehr brauchtr?)

In vielen dieser Punkte könne Deutschland einfach nicht mehr mithalten.

Standortpolitik ist eben Wettbewerb. Und die Subventionen der EU wohl nur der magere Versuch einer Verzerrung desselben.