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Dachschaden

Die einzige Angst der Gallier ist bekanntlich, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Genau das ist jetzt passiert. Im Plenarsaal des Straßburger Europarlaments brach ein Teil der Deckenkonstruktion ein, die Trümmer prasselten herab auf die Sitze der Abgeordneten.

Glücklicher Weise geschah das Ganze während der Sommerpause, niemand kam zu Schaden.

Niemand? Naja, fast niemand. Denn das Malheur lenkt die Aufmerksamkeit manches Untertanen mit einem Schlag auf den größeren europäischen Dachschaden, der hinter Straßburg steckt – und für den heute allen voran Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Verantwortung trägt.

Das Straßburger Plenargebäude nämlich bildet einen vollkommen überflüssigen Zweitsitz für das Europäische Parlament. Alle drei Wochen brechen die 785 Abgeordneten aus Brüssel samt Mitarbeitern für eine Sitzungswoche ins Elsaß auf. Angeblich wird auf diese Weise die deutsch-französische Freundschaft gefördert.

Fördern tun sich die Abgeordneten freilich in erster Linie selbst – mit bis zu 12 000 Euro Sitzungspauschalen. Den Steuerzahler kostet diese Art der Völkerverbindung pro Jahr insgesamt geschätzt 200 Millionen Euro. Immer mehr grenzpendelnde Europaparlamentarier kostet sie mittlerweile allerdings auch den letzten Nerv.

Regelrecht erfreut zeigen sich deshalb viele von ihnen dieser Tage über das geknickte Gebälk in Straßburg. Denn es beschert ihnen bis auf Weiteres einen Zwangsverbleib im Brüsseler Heim. „Große Erleichterung“, registriert der deutsche SPD-Abgeordnete Jo Leinen (bisher nicht bekannt für Frankreich-feindliche Töne) im Plenarrund. Jetzt, hofft er, jetzt wenn nicht jetzt, sei die Gelegenheit für Nicolas Sarkozy, über die Zukunft von Straßburg nachzudenken. Zusammen mit anderen Kollegen schreibt er entprechende Briefe nach Paris.

Der deutsche liberale EP-Abgeordnete Wolf Klinz schlägt Sarkozy in einem Schreiben vor, „in den Räumen des Europäischen Parlaments eine Diplomatenschule der Europäischen Union einzurichten, in der der diplomatische Nachwuchs aller Mitgliedstaaten etwa sechs Monate seiner gesamten Ausbildungszeit zubringt, um sich speziell mit Fragen der EU zu beschäftigen. Die angehenden Diplomaten der EU-Mitgliedstaaten würden lernen, in Fragen der EU zunehmend mit einer Stimme zu sprechen. Die persönlichen Beziehungen, die sich während der gemeinsamen Ausbildungszeit in Straßburg ganz natürlich entwickeln, wären eine ausgezeichnete Basis für die vertrauensvolle Zusammenarbeit der europäischen Diplomaten im Laufe ihrer Karriere.“

Ach ja, schön wär’s, in Paris ließe man sich von solchen Ideen beeindrucken. Aber wie war das noch mit diesem gallischen Dorf? Irgendwie hat es immer geschafft, sich auch die stärkste Legion vom Leib zu halten.