Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy gab ganz den Rockstar, als er gestern spätabends, nach einer langen Sitzung mit den 27 Staatschefs der Europäischen Union, ins edle Hotel Amigo in Brüssel einkehrte. Eine Hotelbesucherin richtete in der Lobby die Digitalkamera auf den Franzosen, der daraufhin die Dame zu sich heranwinkte, „Jaja, ich bin’s!“ sagte, mit der Zunge schnalzte, eine cowboyhafte Positur einnahm und keck in die Linse lächelte. Klick, blitz. Winken, präsidialer Abgang in den Fahrstuhl.
Man hätte meinen können, der Mann hatte einen guten Tag.
Aber gehörte diese Brüsseler Ratssitzung nicht Angela Merkel? Hat sie es nicht geschafft, Sarkozys Pläne einer Mittelmeerunion zurück in die Bahnen gemeinsamer Außenpolitik mit den südlichen Anrainern der EU zu schieben? Sarkozy hatte vorgeschwebt, von Paris aus eine Art Club Mediterrane zu managen, eine Wirtschaftsförderungszone mit Nordafrika und dem Nahen Osten. Bei dieser Union sollten nach Sarkozys Vorstellung die nördlichen EU-Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland, lediglich einen Beobachterstatus einnehmen. Dass der Mann für die Maghrebregion ehrgeizige nationale Exportpläne hat, zeigte zuletzt sein Atomkraftwerksdeal mit Libyens Diktator Ghaddafi.
Die EU hat, nicht zuletzt auf Druck der Kanzlerin, diese Sarkozy-Club-Gründung am Mittwoch gestoppt. Statt einer französischen Entente soll es nun eine EU-gesteuerte „Union für das Mittelmeer“ geben, die Algerien, Tunesien, Marokko, Ägypten, Libyen, Israel, die palästinensische Selbstverwaltung, Jordanien, den Libanon, Syrien und die Türkei einschließt.
Trotzdem, die gute Laune des französischen Präsidenten war nicht unbegründet. Denn Sarkozy hat es letzten Endes geschafft, der EU einen durchaus belebenden Elektroschock zu verpassen.
Die „Union für das Mittelmeer“, die jetzt am 13. Juli in Paris angeblich aus der Taufe gehoben werden soll, ist letztlich nichts anderes als ein neues Label für ein altes Produkt, das nie so richtig durchschlug. 1995 einigten sich die EU-Staaten mit den Mittelmeeranrainern auf den sogenannten Barcelona-Prozess. Darin einigten sich die Staats- und Regierungschefs, dass die Politik gegenüber den südlichen Mittelmeeranrainern die gesamte EU betrifft. Schließlich gehe es um Herausforderungen wie Migration, Extremismus, Klima- und Umweltpolitik oder den Friedensprozess im Nahen Osten.
Bloß, außer einem feierlichen Gründungsakt hat der Barcelona-Prozess nie viel erreicht. Weder gab es politische Diskussionen um die Verwendung der 16 Milliarden Euro, mit denen bis 2013 das Projekt unterstützt werden soll, noch wurden diese Gelder überhaupt in umfänglicher Weise verwendet. Zur Zehn-Jahresfeier des Barcelona-Prozesses, schreibt die Süddeutsche Zeitung, sei 2006 kein einziger Regierungschef aus den Mittelmeeranrainern erschienen.
Kurzum: Die Mittelmeerpolitik war der eingeschlafene Fuß der EU. Sarkozys erster Verdienst war es, kräftig darauf getreten zu haben.
Dieser Vorgang sollte die Europäische Union über den Tag hinaus wachrütteln. Denn Sarkozy ist nicht der Einzige, der unzufrieden ist mit der Art, wie die EU ihre angebliche gemeinsame Außenpolitik verfolgt. Gerade haben Tschechien, Estland und Lettland eigene Visa-Abkommen mit den USA ins Auge gefasst. Die Regierungen dort hatten es schlicht satt, auf entsprechende Initiativen aus Brüssel zu warten.
An solchen Zentrifugalerscheinungen zeigen sich Segen und Fluch der EU zugleich. Natürlich könnte ein Block von 27 Staaten gegenüber auswärtigen Verhandlungspartnern mehr Gewicht haben, wenn er geschlossen auftritt, etwa gegenüber amerikanischen Fluggastdaten-Begehrlichkeiten. Jedoch scheint es dem großen Sternenverbund nicht nur hier an Kohärenz, Effizienz und Nachdrücklichkeit zu mangeln.
Das war in einer EG der Sechs anders, und auch noch in einer EU der Fünfzehn. Nun aber wächst die Ungeduld alter und neuer Mitgliedsländer mit einem aufgeblähten Kommissarsapparat in Brüssel, der zwar immer wieder große Ideen präsentiert, etwa in der Visa- und Nachbarschaftspolitik, dessen tatsächliche Performance aber zu wünschen übrig lässt. Ob der Lissabon-Vertrag („EU-Verfassung“) daran etwas ändern kann oder die Prozesse noch verkompliziert, wird abzuwarten sein.
Womöglich aber gehört die Vorstellung, Frankreich und Deutschland könnten in einem erweiterten Europa von 27 Staaten noch ein Motor sein, bald der Vergangenheit an. In Zukunft, das zeigen die Pariser und Prager Absatzbewegungen, könnte es ganz andere Allianzen geben: coalitions of the willing innerhalb einer allzu multilateralen EU-Welt, wenn man so möchte.
Die Bundesregierung scheint diese Gefahr für den europäischen Zusammenhalt durchaus erkannt zu haben. „Der Impuls, etwas Dynamischeres aus der Mittelmeerunion zu machen, war ja nicht falsch“, ist aus deutschen Regierungskreisen zu hören. Allerdings habe man hier auf keinen Fall eine Präzedenz zulassen dürfen. Schließlich könne es nicht sein, dass sich immer wieder Gruppen zusammenfänden, die glauben, sie könnten die Dinge in Exklusivität schneller und besser regeln – und dafür womöglich auch noch EU-Gelder nutzen.
Der Club-Mediterrane-Streit war, zweiter Verdienst Sarkozys, auch ein echter Fortschritt an Klarheit in den deutsch-französischen Beziehungen. Bisher, so formuliert es ein erfahrener deutscher Diplomat, „war man sich auch einig, sich einig zu sein, wenn man sich nicht einig war. Nach Außen hat man das dann als Einigkeit verkauft.”
Ist es nicht irgendwie angenehm, dass sich das gerade zu ändern scheint?