Vor Kurzem habe ich mich mit einem chinesischen Banker unterhalten. Als wir auf die Krisenpolitik in Europa zu sprechen kamen, reagierte er verwundert. Er fragte mich: Wie kann ein so kleines Land wie Griechenland den wohlhabendsten Kontinent der Welt in den Ruin treiben? Mit solchen ökonomischen Schwergewichten wie Deutschland, Frankreich und Italien müsse die Euro-Zone doch imstande sein, die Schuldenmisere ihrer Krisenländer selbst zu bewältigen.
Die Führung in Peking habe auch massive Probleme, ihre überschuldeten Provinzen wie etwa Guangdong oder den Stadtstaat Chongqing zu disziplinieren und sie dazu zu bringen, ihre Finanzlöcher zu stopfen. An einen Rauswurf würde aber niemand in Peking denken. Auch Washington würde ja nicht auf die Idee kommen, die völlig überschuldeten Bundesstaaten Kalifornien oder Florida aus dem Staatenverbund zu schmeißen, sagte er. Und ich glaube: So wie der Banker denken in China derzeit viele, die sich mit dieser Materie befassen.
Nun wird auch Chinas Führung selbst nervös. Anfang des Monats hat die Staatsführung sämtliche Behörden wie die Zentralbank, die einflussreiche Nationale Entwicklungs- und Reformkommission sowie die Bankenaufsicht angewiesen, Notfallpläne zu erarbeiten, falls es tatsächlich zu einem Euro-Abschied Griechenlands kommen sollte. „Es ist sehr dringend“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters eine mit der Aufgabe vertraute Person.
Nach außen hin bekennt sich Chinas Führung zum Euro. Auf dem G-20-Gipfel in Mexiko vergangene Woche hat Chinas Staatschef Hu Jintao Bundeskanzlerin Angela Merkel freundlich die Hand geschüttelt und ihr sein volles Vertrauen bekundet. Und auch der chinesische Zentralbankchef Zhou Xiaochuan hat versprochen, dass die Chinesen weiter in Staatsanleihen der Währungsunion investieren würden. In der Realität ist China aber bereits eifrig am umschichten.
Ganz vorne: Der mehrere hundert Milliarden schwere chinesische Staatsfonds CIC. Dessen Chef, Lou Jiwei, gab unverhohlen zu, dass der von ihm verwaltete Fonds eifrig dabei ist, Euro-Papiere abzustoßen. Die anderen chinesischen Staatsfonds haben sich bislang nicht geäußert. Was jedoch auffällt: Obwohl es mit Japans Wirtschaft ebenfalls kriselt und das Inselreich mit fast 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die höchste Staatsverschuldung unter den Industrienationen aufweist, fließt seit einiger Zeit vermehrt chinesisches Geld zum östlichen Nachbarn. Offensichtlich schenken die Chinesen ihrem einstigen Erzrivalen inzwischen ein höheres Vertrauen als Europa.
Nach Einschätzung des in China einflussreichen Ökonomen und Zentralbankberaters Yu Yongding besteht Chinas Hauptsorge aber gar nicht so sehr in den unmittelbaren Verlusten, sollte die Euro-Zone auseinanderbrechen. Denn so viele spanische und portugiesische Anleihen besitzt die Volksrepublik gar nicht.
Sehr viel schwerer wiegt die Sorge über einen möglichen Rückgang der Exporte nach Europa, immerhin inzwischen Chinas wichtigster Absatzmarkt. Dieser Abschwung ist bereits in vollem Gange, weswegen vor allem im Süden des Landes Produktionsstätten geschlossen werden.
Große Sorge bereitet Yu Yongding zufolge aber auch die eigene Währung, der Yuan. Er könnte an Wert verlieren. Das mag auf den ersten Blick verwundern. Denn war es nicht so, dass nach dem Zusammenbruch der US-Wirtschaft im Zuge der Lehman-Pleite das internationale Kapital in die sehr viel robuster wachsenden Schwellenländer und vor allem nach China floss? Müsste diese Kapitalflucht nach Asien nun nicht auch in der Euro-Krise wieder vermehrt einsetzen?
Offensichtlich nicht. Im Gegenteil: Mit der Euro-Krise geht Yu Yongding zufolge der Kapitalfluss nach China sogar zurück. Seine Erklärung: Europas Banken leiden unter einer Kreditklemme, weil sie aus Verunsicherung der derzeitigen Lage sich auch untereinander kaum mehr Geld leihen. Viele von ihnen sind nun auf ihre eigenen Rücklagen angewiesen. Hinzu kommen die erhöhten Kapitalvorschriften. Deshalb versuchen viele europäische Banken, ihr Geld nach Europa zurückzuholen.
Zwar ist der chinesische Kapitalmarkt nach wie vor verhältnismäßig stark reglementiert. Internationale Investoren können ihr Geld nicht unmittelbar und schnell aus der Volksrepublik abziehen; diesen Vorteil hat China gegenüber anderen Ländern – noch. Peking befürchtet allerdings, dass fürs aktuell benötigte Wachstum Investitionen aus dem Ausland ausbleiben. Und die sind inzwischen noch wichtiger geworden. Denn eben die Kapitalflucht nach China von 2009 und 2010 als unmittelbare Folge des Zusammenbruchs der US-Wirtschaft hatte die chinesische Wirtschaft ordentlich angefeuert – das Land damit aber auch abhängiger vom Ausland gemacht. Eine Kapitalflucht nun weg aus China könnte die Volksrepublik sehr schmerzen.
Anders als etwa Obama in den USA hat sich Chinas Führung gegenüber Bundeskanzlerin Merkel noch nicht mit dem konkreten Vorschlag hervorgetan, Deutschland und die anderen robusten Euro-Länder müssten unbegrenzt für Europas Krisenstaaten einstehen. Das ist nicht die Art der Chinesen, verwehren sie sich doch auch stets gegen Ratschläge aus dem Westen. Aber die Nervosität wächst auch in Fernost – und damit das Unverständnis.