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Chinesen verteilen ihren Reichtum in der Welt

 

Es ist noch keine zwei Jahre her, da hegten die europäischen Regierungschefs für eine kurze Zeit die Hoffnung, China könne dazu beitragen, der Euro-Zone aus der Krise zu helfen. Immerhin verfügt die Volksrepublik über gewaltige Devisenreserven und weiß gar nicht wohin mit dem vielen Geld. Und die Europäer waren nicht die einzigen Bittsteller. Auch US-Außenministerin Hillary Clinton bat bei ihren mehreren Begegnungen mit chinesischen Regierungsvertretern darum, weiter in die USA zu investieren. Dabei ist China bereits jetzt der größte Gläubiger der USA.

Vage sagte die chinesische Führung beiden Hilfe zu. Doch zumindest was Europa betrifft, passierte seitdem nicht allzu viel. Ein paar portugiesische Staatsanleihen hier, ein paar spanische dort – einen spürbaren Einfluss hatten die chinesischen Investitionen auf den Verlauf der Euro-Krise nicht. An griechische Papiere wagten sich die Chinesen so gut wie gar nicht heran. Von den USA kauft China zwar weiterhin Staatsanleihen, aber das hat das Land auch vorher schon getan. Vielleicht haben sich die Chinesen gedacht: Warum sollten wir den beiden reichsten Wirtschaftsräumen der Welt helfen, wenn die Armut bei uns doch noch so hoch ist?

Seit einigen Monaten aber fließt nun doch sehr viel Geld aus der Volksrepublik ins Ausland ab. Von der Staatsführung ungewollt. Wie Zahlen der chinesischen Zentralbank belegen, haben allein im Juli Chinas Banken gerade einmal rund 3,8 Milliarden Yuan verkauft, das entspricht etwa 485 Millionen Euro. China lässt seine Währung nicht frei auf dem Markt schwanken, sondern jeder verdiente Euro oder Dollar fließt an die Zentralbank, die wiederum zu einem von ihr festgelegten Wert Yuans ausgibt.

Dass die Nachfrage nach Yuan derzeit aber so gering ist, legt zum einen nahe, dass viele Anleger in China trotz strenger Kapitalkontrollen ihr Geld  außer Landes schaffen. Zum anderen tauschen chinesische Exporteure ihre Dollar- und Euroeinnahmen gar nicht erst in Yuan um. Auf die vergangenen zehn Monate summiert verkauften chinesische Banken eifrig Dollar, nahmen im Gegenzug aber gerade einmal Auslandswährungen im Wert von 145 Milliarden Yuan auf. Das ist sehr viel weniger als die 905 Milliarden Yuan, die über den Handelsüberschuss eigentlich ins Land fließen müssten.

In einer Umfrage der China Merchants Bank und der Managementberatung Bain & Company unter 2.600 wohlhabenden Einzelpersonen haben im vergangenen Jahr fast 60 Prozent der Befragten angegeben, dass sie schon Geld aus China abgezogen hätten oder es demnächst vorhaben.

Das war vor Kurzem noch ganz anders: Weltweit setzten Anleger auf Chinas anhaltendes Wachstum und investierten kräftig in den Yuan. Nicht nur der gesamte Außenhandelsüberschuss landete bei der chinesischen Zentralbank. Damit Chinas Wirtschaft nicht überhitzte, musste sie zusätzlich sogenanntes „heißes Geld“ einsammeln, spekulatives Kapital aus aller Welt.

Doch was sind die Gründe, dass nun vermehrt Geld aus China abfließt?

Zum einen ist es die zunehmende politische Unsicherheit. Der fest vorgesehene Führungswechsel zum Jahreswechsel verläuft nicht so reibungslos wie die Zentralregierung so gerne suggerieren wollte. Intrigen und die internen Machtkämpfe verunsichern auch die Anleger und Investoren.

Zum anderen ist es die wachsende Oberschicht. Inzwischen gibt es in China eine in absoluten Zahlen gar nicht so kleine Minderheit, die gewaltige Vermögen angehäuft hat. Sie weiß nicht wohin mit ihrem Geld. Immobilien für sich und ihre Kinder und Verwandten haben die meisten von ihnen bereits erworben. Einem weiteren Kauf von Immobilien sind zudem Grenzen gesetzt: Damit der Immobilienmarkt nicht zu sehr überhitzt, hat die Regierung zuletzt eine Reihe von Regeln verhängt, die unter anderem nur noch den Erwerb einer Immobilie pro Stadt erlaubt. Die reichen Chinesen weichen deswegen stattdessen ins Ausland aus. Wohlhabende Chinesen erwerben nun auch in der Sonderzone Hongkong, aber auch in London, Singapur, Vancouver und San Francisco vermehrt Immobilien und treiben damit die Preise nach oben.

Zugleich fürchten viele von ihnen um ihr Vermögen. Immer wieder kursieren Gerüchte, Chinas Führung plane Maßnahmen gegen die wachsende soziale Ungleichheit. Tatsächlich werden bereits Steuern sehr viel rigoroser eingetrieben als es vor Kurzem noch üblich war.

Der zunehmende Kapitalabfluss hat aber auch handfeste strukturelle Ursachen. Chinas Staatsunternehmen sind in den vergangenen Jahren in einer Reihe von Branchen so stark und mächtig geworden, dass sie Privatunternehmen die Luft abwürgen. Nicht zuletzt im Rahmen des gigantischen Konjunkturpakets floss sehr viel Geld in die einst maroden Staatsbetriebe. Sie verdrängen nun zunehmend kleinere und mittlere Betriebe in Privathand. Diese ziehen nun desillusioniert ihr Geld ab.

Schadet dieser Geldabfluss Chinas Wirtschaftsentwicklung? Bislang nicht wirklich. Das viele Kapital, das in den vergangenen Jahren nach China geflossen war, hat zuletzt in einer Vielzahl von Branchen für eine Überhitzung gesorgt. So sind in einigen Städten die Immobilienpreise innerhalb von fünf Jahren um mehr als 40 Prozent gestiegen. Nun kühlen diese Märkte ein wenig ab.

Bis zu einem gewissen Maß profitiert das Ausland von dieser Entwicklung. Dass China erstmals seit vielen Jahren nicht mehr Kapital anzieht als abfließt, heißt nichts anderes, als dass die Volksrepublik ein kleines Stückchen von seinem jahrzehntelangen Boom an den Rest der Welt abgibt.