Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist wieder nach China zurückgekehrt. Das Land kann sich der Krise in Europa und auch dem schwachen US-Wachstum nicht länger entziehen. Die chinesischen Exporte sind im Juli eingebrochen, der Binnenmarkt kommt ebenso nicht in Schwung. Diese Entwicklung zeigt: In einer globalisierten Welt bleibt keine große Volkswirtschaft verschont, wenn es auf der anderen Seite der Erdkugel brennt.
Ich finde das aber keineswegs nur schlecht.
Nach dem ersten Zusammenbruch der Weltwirtschaft 2008 reagierten die Industrieländer mit großen Konjunkturpaketen. Die USA waren dabei, die Deutschen, Briten und Franzosen ebenso. Denn die Regierungen wussten: Globale Krisen benötigen globale Antworten. Aber kein Land schnürte ein so großes Paket wie China. Über 400 Milliarden Euro stellte sie bereit, eine weitere Billion für eine großzügigere Kreditvergabe. Es handelte sich um das bis dato größte Konjunkturpaket der Wirtschaftsgeschichte.
Diese Aktion stoppte damals den freien Fall der Weltwirtschaft. China selbst erholte sich unmittelbar, exportorientierte Länder wie Deutschland konnten nicht zuletzt dank China zügig nachziehen.
Doch dieser erste Konjunkturstimulus reichte nicht aus. Die USA und Europa stellten allzu rasch wieder auf Sparmodus um. Dann folgten die Schuldenkrisen in Irland und Südeuropa. Die nicht nachvollziehbare Logik: Wenn der Schuldenberg zu groß erscheint, muss eben gespart werden. Und zwar sofort. Wenn aber niemand investiert, bleibt das Wachstum aus. Deutschland, dem die Anleger immer noch vertrauen und deswegen zumindest bislang nicht in den Sog der Schuldenkrise gezerrt wurde, sprang mit einer Erhöhung der Ausgaben nicht ein.
Diese Rolle übernimmt nun China. Erneut entpuppt sich die Volksrepublik damit als Retter der lahmenden Weltkonjunktur. Auf dem Sommer-Davos in Tianjin, dem chinesischen Ableger des Weltwirtschaftsforums (WEF) im Schweizerischen Davos, hat Chinas Premierminister Wen Jiabao in seiner Rede versprochen, der „Stabilisierung des Wachstums größere Priorität einzuräumen“. In den Kassen seines Landes seien genug Mittel und er werde nicht zögern, diese auch einzusetzen. Ein gutes Signal an die Weltwirtschaft.
Und Chinas Regierung hat bereits reagiert. In einem Schnellverfahren hat das in China einflussreiche Entwicklungs- und Reformministerium in den vergangenen Tagen bereits eine Reihe neuer Infrastrukturprojekte in die Wege geleitet. Sie hat den Neubau von weiteren 2.000 Kilometern Autobahnen beschlossen. Hinzu kommen sollen 25 U-Bahnlinien, vier neue Flughäfen sowie über hundert Wind- und Solarparks. Ich habe mal die Kosten überschlagen und komme auf eine Gesamtsumme der Investitionen in Höhe von umgerechnet fast 250 Milliarden Euro.
Diese Meldung ist in Zeiten des Sparwahns in Europa und den USA eine Sensation. Und ich wundere mich, warum diese Ankündigung in Deutschland keine Freudentänze auslöst. Denn raten Sie mal, wer mal wieder am meisten von den Aufträgen aus Fernost profitieren wird? Außer den Chinesen selbst – die Deutschen mit ihrer viel gerühmten Ingenieurkunst.
Was übrigens bei der Verkündung des chinesischen Premiers auffällt: Er vermeidet, den Begriff „Konjunkturpaket“ in den Mund zu nehmen. Offensichtlich schwingen dabei noch allzu sehr die negativen Auswirkungen des ersten Pakets mit. Denn die gab es ja auch. Die großzügige Kreditvergabe hatte der chinesischen Wirtschaft und der Weltwirtschaft insgesamt zwar zu einem gewaltigen Auftrieb verholfen, in China selbst allerdings auch den Immobilienmarkt angeheizt. Diese Entwicklung will Chinas Führung auf jeden Fall vermeiden und investiert nun lieber selbst.
Der Fokus der chinesischen Regierung auf den Ausbau der Infrastruktur ist sicherlich eine richtige Entscheidung. Sie belebt die Konjunktur, ohne irgendwelche Märkte aufzublasen. Und trotz bereits massiv erfolgter Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur ist der Bedarf an weiteren U-Bahn- und Schienennetzen noch nicht abgedeckt. Wer sich mal in Peking durch die Stadt bewegt hat, weiß wovon die Rede ist.
Zudem ist die Belebung der Bauwirtschaft eine der effektivsten Möglichkeiten, die Konjunktur anzukurbeln. Fast die gesamte Investitionssumme kommt der Realwirtschaft zugute. Das Geld fließt nicht über irgendwelche dubiosen Kanäle an die Wall Street oder auf die Kanalinseln.
Chinas Führung hat es verstanden: Wenn bei Konjunktureinbrüchen sonst niemand bereit ist zu investieren, muss der Staat eben einspringen – sofern er nicht bankrott ist. Globale Krisen benötigen wie erwähnt globale Antworten. Chinas zweites Konjunkturpaket stellt eine solche Antwort dar. Wäre schön, wenn Deutschland in diesem Punkt der Volksrepublik folgen würde.