China und die EU stecken seit Wochen in heftigen Konflikten. Sie streiten unter anderem über den Handel mit Solarmodulen, Telekommunikationsanlagen und Porzellan. Strafzölle sollen bald eingeführt werden. Jetzt kommt Chinas neuer Premier Li Keqiang zum Antrittsbesuch nach Berlin und will über ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Staaten verhandeln. Die deutsche Industrie begrüßt den Vorstoß. Hatten die Deutschen nicht bis gerade eben Angst vor der „unfairen“ chinesischen Billigkonkurrenz? Wie passt das zusammen?
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erwartet für den Fall, dass Strafzölle abgeschafft werden, einen jährlichen Zuwachs der deutschen Exporte von mindestens vier Milliarden Euro. Alles, was beide Länder dem Ideal des Freihandels näher bringt, ist aus Sicht des Verbands unterstützenswert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Verband des Außenhandels haben sich in den vergangenen Tagen ähnlich geäußert.
Dabei hatte die EU-Kommission auf Betreiben des europäischen Lobbyverbands ProSun unter Federführung der angeschlagenen Bonner Firma Solarword erst vor zwei Wochen Strafzölle auf chinesische Solarmodule beschlossen. Die EU wirft China vor, durch den Export von Solarmodulen zu Dumpingpreisen die europäische Konkurrenz mit unfairen Mitteln in Schwierigkeiten zu bringen.
Der EU-Handelskommisar Karel De Gucht drohte wenig später mit weiteren Handelssanktionen. Er wollte die Netzwerkausstatter Huawei und ZTE abstrafen. Soweit bekannt gab es diesmal kein Unternehmen, das De Gucht zu seiner Drohung gedrängt hätte. Dennoch stehen nun auch Huawei und ZTE kurz vor einem Anti-Dumping-Verfahren der EU.
In einer solchen Situation begrüßt die Deutsche Industrie Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit China? Würden europäische Firmen bei einem freien Handel mit der Volksrepublik nicht noch mehr unter chinesischen Billigimporten leiden?
Tatsächlich kommt der Vorstoß der deutschen Wirtschaft nicht von ungefähr. Der deutsche Außenhandel mit China wies im vergangenen Jahr zwar ein zehn Milliarden Euro großes Handelsbilanzdefizit auf. Doch im Jahr 2011 war das Defizit noch sehr viel größer. Deutsche Firmen machen in der Volksrepublik derzeit Rekordumsätze. Und die Geschäfte könnten noch besser laufen, wenn es zwischen China und Deutschland ein Freihandelsabkommen gäbe – zumindest erwarten das die Industrievertreter. Der DIHK geht gar davon aus, dass China bis 2023 zum wichtigsten Abnehmer deutscher Waren aufsteigen wird.
Die Mehrheit der deutschen Unternehmer befürchtet denn auch gar nicht so sehr, dass chinesische Firmen Deutschland mit Billigprodukten überschwemmen könnten. Viel häufiger beklagen sie trotz ihrer boomenden Geschäfte den nach wie vor schwierigen Marktzugang in China. Ein Freihandelsabkommen würde viele der derzeit noch bestehenden Hürden nehmen, so die Hoffnung. Und vielleicht könnte schon die Aufnahme der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen die vielen Handelskonflikte politisch ein wenig entschärfen.